Indikationsstellung
Dass die Durchführung von genetischen Analysen im Sinne des Gentechnikgesetzes § 65 nur in hierfür zugelassenen Einrichtungen und nur auf Veranlassung von in Humangenetik/medizinischer Genetik ausgebildeten Fachärzt:innen oder von für das Indikationsgebiet zuständigen behandelnden oder diagnosestellenden Fachärzt:innen nach entsprechender genetischer Beratung erfolgen darf, wurde schon in früheren Artikeln näher ausgeführt. Eine kurze Zusammenfassung der Symptomatik, der Verdachtsdiagnose und der Fragestellung ist für alle Zuweisungen genetischer Analysen unabdingbar. Gerade aber bei NGS-Verfahren ist es besonders wichtig, seitens der Zuweiser:innen auch mitzuteilen, ob primär eine erbliche Ätiologie angenommen wird oder ob die genetische Untersuchung eher aus differenzialdiagnostischen Gründen veranlasst wird.
Vor der Durchführung der Analyse sollte die jeweilige Anforderung auch vom entsprechenden Labor auf Plausibilität geprüft werden, insbesondere ob die angeforderte Methodik zur Bearbeitung der Fragestellung geeignet ist. So ist auch an dieser Stelle anzuführen, dass NGS-Verfahren für den gezielten Nachweis oder Ausschluss von bereits bekannten familiären pathogenen Genvarianten in den meisten Fällen nicht zielführend sind. Seitens des die Genanalyse Veranlassenden muss bedacht werden, dass je umfangreicher die Untersuchung angelegt ist (z. B. WGS, WES, CES), desto größer auch die Wahrscheinlichkeit von Zusatzbefunden und unklaren Ergebnissen ist. Daher ist von den die Genanalyse veranlassenden Fachärzt:innen im Rahmen der Beratung der zu untersuchenden Personen zu klären und zu dokumentieren, wie mit Zusatzbefunden (opt-in, opt-out) umgegangen werden soll. Auf das Recht des Nichtwissens ist hinzuweisen und der Schutz nicht einwilligungsfähiger Personen muss berücksichtigt werden. Ein Procedere betreffend des Umganges mit Zusatzbefunden muss auch seitens des Labors festgelegt und für Zuweiser:innen einsehbar sein. Im klinisch-diagnostischen Kontext sollte bei diagnostischer Gleichwertigkeit nach Möglichkeit das Verfahren eingesetzt werden, das mit der geringsten Wahrscheinlichkeit von Zusatzbefunden verbunden ist [
4,
5].
Wenn zusätzlich zur Probe der erkrankten Person parallel auch eine „Vergleichsuntersuchung“ der Proben der Eltern durchgeführt wird, spricht man von einer „Trio“-Analyse. Diese dient dazu, das Auffinden neu bei Indexpatient:innen aufgetretener pathogener Varianten bzw. den Ausschluss nicht neu entstandener seltener (aber nicht pathogener) Varianten zu erleichtern. Dies bedeutet aber natürlich primär auch eine Erhöhung der Kosten und wiederum die Möglichkeit von Zusatzbefunden bei den Eltern.
Welche Kriterien und Aspekte bei der Veranlassung einer Sequenzanalyse zu beachten sind, soll nachfolgend dargelegt werden.
Einzelgenanalyse
Diese Form der genetischen Analyse, meist auf der Methodik nach Sanger (auch als Kettenabbruch- oder Didesoxymethode bezeichnet) basierend, stellte für lange Zeit auf vielen Gebieten den Goldstandard der genetischen Diagnostik betreffend Sequenzanalysen dar. Praktisch bedeutet das, dass der/die die molekulargenetische Analyse veranlassende Fachärzt:in eine Sequenzanalyse für ein oder mehrere Gene wählt, die für die vermutete Erkrankung bzw. klinische Symptomatik als am wahrscheinlichsten kausal erscheint oder bereits bekannt ist. Die Analyse verschiedener in Frage kommender Gene erfolgt dann nach Wahrscheinlichkeit der Kausalität in einem Stufenverfahren.
NGS
Die teilweise bereits angeführten Anwendungen werden einerseits anhand der untersuchten Bereiche (kodierend, nichtkodierend, regulatorisch, etc.) unterschieden (WGS, WES, CES, Gen-Panel), werden aber auch hinsichtlich Qualität bzw. analytischer Genauigkeit und Sequenziertiefe (Depth, Coverage) klassifiziert (Qualitätsstufen A–C).
Für diagnostisch relevante Fragestellungen wird eine Sequenziertiefe von mehr als 20 Sequenzen pro Base in 100 % der analysierten Regionen gefordert (Typ-A-Qualität), sodass eine Detektionsgenauigkeit von > 99 % erreicht wird. Es ist wichtig, hier anzumerken, dass unbedingt darauf zu achten ist, dass bei Ersatz der Methodik der Sanger-Sequenzierung durch NGS-Verfahren die hohe analytische Sensitivität von > 99 % weiter gewährleistet ist. So sollte gerade bei einer Tumordiagnostik wie z. B. BRCA1, RET-Protoonkogen, MEN1, etc. eine Coverage von mindestens 20 % gewährleistet sein, da über Bereiche, die mit weniger als 20 Sequenzen pro Base abgedeckt sind, keine sichere Aussage getroffen werden kann.
Je größer ein Multigen-Panel ist, desto schwieriger wird es aber auch, für alle Gene eine Coverage von über 20 % zu erreichen, sodass bei großen Panels mit über 50 Genen dies häufig nicht mehr für alle Gene auf dem Panel bewerkstelligt werden kann. Daher soll aus einer Hochdurchsatz-Genliste seitens des Diagnostikanbieters hervorgehen, welche Gene als „Hauptgene“ („core genes“) betrachtet werden [
3,
4], da diese dann mit durchgehend hoher Qualität (Coverage > 20 %) und üblicherweise vollständiger technischer Abdeckung der Zielregion (> 99 %) analysiert und ausgewertet werden.
Je nach klinischer Fragestellung bzw. Methodik kommen unterschiedliche Stufen der diagnostischen Tiefe (Qualitätsstufen von Typ A bis C) zur Anwendung [
2,
3]:
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Typ-A-Test: vollständigste Analyse mit dem aktuellen Stand der Technik, die bedeutet, dass alle Zielregionen (kodierende Regionen und flankierende Exon‑/Intron-Grenzen) mit hohen Qualitätsparametern und einer vollständigen technischen Abdeckung der Zielregion > 99 % bzw. mit einer Coverage von mind. 20 % abgedeckt sind. Sofern das für eine bestimmte Zielregion nicht zutreffend ist, müssen diese Bereiche mittels Sanger- oder alternativer Sequenzierungsmethodik ergänzt werden.
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Typ-B-Test: Bei großen Analysen (> 50 Genen) ist eine hohe Coverage und lückenlose Abdeckung aller Gene häufig nicht mehr möglich (weder mit NGS noch mit nachfolgender Sanger-Sequenzierung). Nur für Core-Gene wird daher die Analyse mittels Sanger-Sequenzierung ergänzt, aber für andere Gene bleiben Lücken, sodass Mutationen in bestimmten Genen bzw. Genbereichen und damit auch bestimmte Verdachtsdiagnosen nicht ausgeschlossen werden können. Diese Limitationen einer Methodik sind im genetischen Analysenbefund unter dem methodischen Teil auszuweisen und müssen auch von den den Befund Interpretierenden verstanden und berücksichtigt werden.
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Typ-C-Test: Die Analyse basiert ausschließlich auf NGS, Lücken werden nicht mit Sanger-Sequenzierung oder alternativen Methoden geschlossen (z. B. bei WES, WGS).
Kategorie 1: Genetische Eigenschaften, aus denen sich ein relevantes Risiko für eine Erkrankung ergibt, für die eine effektive Therapie bzw. wirksame Vorbeugemaßnahmen zur Verfügung stehen.
Kategorie 2: Genetische Eigenschaften, die ein relevantes Risiko für eine zum Untersuchungszeitpunkt nicht behandelbare Erkrankung ausweisen.
Kategorie 3: Genetische Eigenschaften, die das Risiko für das Auftreten einer Erkrankung nur gering modifizieren, z. B. Daten aus genomweiten Assoziationsstudien zu multifaktoriellen Erkrankungen.
Kategorie 4: Genetische Eigenschaften, die für die untersuchte Person selbst keine gesundheitlichen Risiken bergen, aber zu Krankheiten bei eigenen Nachkommen und/oder Familienangehörigen führen und damit einen Einfluss auf die Familienplanung haben können.
Während nach ÖGH die Mitteilung von Kategorie-1-Befunden geboten ist, sollte die Mitteilung von Befunden der Kategorien 2–4 kontextabhängig beurteilt werden. Die Mitteilung von Kategorie-3-Befunden, die das Krankheitsrisiko nur geringgradig modifizieren, erscheint wenig sinnvoll [
5].
Gene, von denen pathologische Varianten in Form von Zusatzbefunden mitgeteilt werden sollen, werden in sogenannten Positivlisten zusammengefasst. Welche Positivlisten (Experten oder ACMG-Konsortium) verwendet werden, wird unterschiedlich gehandhabt und beeinflusst die Anzahl der zu erwartenden Zusatzbefunde.
Der genetische Befund
Das Ergebnis der genetischen Analyse muss in schriftlicher Form mitgeteilt und mit einer genetischen Beratung abgeschlossen werden. Die Patient:innen können die Durchführung der humangenetischen Analyse bzw. die Mitteilung des Ergebnisses zu jedem Zeitpunkt und ohne Angabe von Gründen widerrufen bzw. sind über das Recht auf Nichtwissen die Zusatzbefunde betreffend aufzuklären.
Ein genetischer Befund muss verschiedenste Kriterien erfüllen, für die es entsprechende internationale Richtlinien gibt [
10]. Auf die Notwendigkeit, die verwendeten Methoden und deren Limitationen und analytische Sensitivität und Spezifität im Befund auszuweisen, wurde im Rahmen der obigen Methodendiskussion schon mehrfach hingewiesen. Im Rahmen dieses Abschnittes soll weiters auf häufig diskutierte Aspekte wie die Interpretation und die Dokumentation der Befunde im klinischen Betrieb eingegangen werden.
Die Vergleichbarkeit genetischer Befunde stellt eine immer wieder auftretende Problematik dar. Lagen diesbezügliche Schwierigkeiten früher primär an der Verwendung einer nichtstandardisierten Nomenklatur, beruhen sie derzeit auch darauf, dass sich die Panels in den untersuchten Genen unterscheiden und dass die Methodik, die analytische Qualität und die Abdeckung verschieden sind. Eine der größten Herausforderungen ist zudem der bereits oben adressierte unterschiedliche Umgang mit Zusatzbefunden und prädiktiven Ergebnissen. Letztere sind insbesondere bei spätem Manifestationsalter der Erkrankung und Detektion bei jungen Personen eine herausfordernde Situation.
§ 65 des GTG legt fest, dass
Analysen am Menschen zu medizinischen Zwecken nur nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt werden, wobei verschiedene Typen (siehe unten Typ 1–4) unterschieden werden, die auch die Grundlage für die Dokumentation in der Krankenakte darstellen.
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Typ 1 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, der Vorbereitung einer Therapie oder Kontrolle eines Therapieverlaufs und basiert auf Aussagen über konkrete somatische Veränderung von Anzahl, Struktur, Sequenz oder deren konkrete chemische Modifikationen von Chromosomen, Genen oder DNA-Abschnitten.
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Typ 2 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, welche auf einer Keimbahnmutation beruht.
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Typ 3 dient der Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende genetisch bedingte Erkrankung oder Feststellung eines Überträgerstatus, für welche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Prophylaxe oder Therapie möglich sind.
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Typ 4 dient der Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende genetisch bedingte Erkrankung oder Feststellung eines Überträgerstatus, für welche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik keine Prophylaxe oder Therapie möglich sind.
Laut § 71a (1) dürfen Ergebnisse aus genetischen Analysen des Typs 1 in jedem Fall, Ergebnisse aus genetischen Analysen des Typs 2 und 3 nur sofern der Patient dem nicht schriftlich widersprochen hat, in Arztbriefen und Krankengeschichten dokumentiert werden. Auf die Möglichkeit des Widerspruches ist in der Beratung gem. § 69 Abs. 3 hinzuweisen. Ergebnisse aus genetischen Analysen des Typs 4, ebenso wie Ergebnisse des Typs 2 oder 3, wenn die Dokumentation in Arztbriefen und Krankengeschichten wegen Widerspruches des Patienten nicht zulässig ist, dürfen nur in der Einrichtung, in der sie erhoben worden sind, und nur auf Veranlassung des behandelnden Arztes verarbeitet werden; sie sind von anderen Datenarten gesondert aufzubewahren oder zu speichern und dürfen nur von jenen Personen die in der Einrichtung mit der Verarbeitung der Daten unmittelbar befasst sind, und nur mit einer gesonderten Zugriffsmöglichkeit abrufbar sein.
Dass einerseits die genetischen Befunde für die fortwährend beste medizinische Betreuung der Patient:innen für die ärztliche Seite zur Verfügung stehen müssen, andererseits aber auch dafür Sorge zu tragen ist, dass die obigen Vorgaben eingehalten werden, ist gerade in großen medizinischen Einrichtungen eine oft nicht leicht zu bewerkstelligende Herausforderung.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass mit der steigenden Nachfrage NGS-basierter diagnostischer Verfahren deutlich wird, dass sowohl die Interpretation der Analysenergebnisse als auch die humangenetische Beratung vor und nach der genetischen Analyse zum Nadelöhr bei diesen Verfahren wird. Von den zuständigen Fachärzt:innen gefordert sind in diesem Zusammenhang eine umfassende Beratungskompetenz und Erfahrung, eine enorme Sachkenntnis und die Möglichkeit und Fähigkeit, trotz der rasant steigenden Weiterentwicklungen am aktuellen Stand der Wissenschaft zu bleiben. Dem gegenüber stehen sogenannte DCT(„Direct-to-Consumer“)-Gentests, die in zunehmendem Ausmaß im Internet angeboten werden und zu deren Durchführung eine Speichelprobe (ohne ärztliche humangenetische Aufklärung und Beratung) an den Anbieter versendet wird. In vielen Fällen werden Tests mit geringer oder fragwürdiger klinischer Relevanz angeboten, d. h., deren Nutzen ist wissenschaftlich nicht belegt. Für derartige Gentests schätzt die ÖGH die potenziellen Gefahren einer Fehl- oder Überinterpretation für die Kunden wesentlich höher ein als den erworbenen Nutzen (siehe Stellungnahme der ÖGH [
12]). Daher ist einmal mehr darauf hinzuweisen, dass die Veranlassung und Interpretation humangenetischer Analysen, soll deren positives Potenzial zum Nutzen der untersuchten Personen und ihrer Familien ausgeschöpft werden, mit einer entsprechenden fachkompetenten Aufklärung und Beratung einhergehen muss.
Weitere Informationen über genetische Analysen in Österreich bekommen Sie unter anderem über folgenden Links: www.oeges.at (Molekulare Endokrinologie) und www.oegh.at (Österr. Gesellschaft für Humangenetik, ÖGH).
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