Angeborene Stoffwechselstörungen sind eine Gruppe von Erkrankungen (aktuell etwa 600 bekannt), die aufgrund von Einzelenzymdefekten entstehen. Sie haben in Österreich eine Inzidenz von 1:3400. Die Einteilung in vier klinische Bilder ist hilfreich: Energiedefizienz/Intoxikation; Neurodegeneration/Speicherung. Da für etwa die Hälfte der angeborenen Stoffwechselstörungen kausale Therapien zur Verfügung stehen (z.B. Ernährungstherapie, Kofaktorgabe, Enzymersatztherapie), ist eine frühzeitige Diagnose der erste und wichtigste Schritt für das Erreichen einer guten Entwicklung und Lebensqualität bei den Betroffenen und ihren Familien.
Als angeborene Stoffwechselkrankheiten werden erbliche Störungen in der Biosynthese oder im Abbau von Substanzen innerhalb von Stoffwechselwegen zusammengefasst, also Krankheiten, die durch den Verlust oder anderweitige Störung von Enzymen und Kofaktoren (und manchen Transportproteinen) verursacht werden. In der Regel sind sie monogen erblich, also auf Mutationen in einzelnen Genen zurückzuführen. Symptome entstehen typischerweise durch den Anstau von nicht verstoffwechselten Substraten bzw. toxischen Metaboliten oder durch den Mangel eines Produkts (Abb. 1). Die klinischen Effekte sind sehr variabel.
Es gibt 3 Ebenen, auf denen angeborene metabolische Erkrankungen diagnostiziert werden können (Abb. 1):
1.
Biochemisch = Substratebene: Metabolite sind in Körperflüssigkeiten in erhöhter oder erniedrigter Konzentration vorhanden. Auf dieser Ebene befinden sich die meisten Suchtests.
2.
Enzymatisch = Enzymebene: Die erniedrigte Aktivität des defekten Enzyms wird im Zielgewebe nachgewiesen.
3.
Molekulargenetisch = Gen-Ebene: Eine krankheitsverursachende Mutation wird im betreffenden Gen nachgewiesen. Der Vererbungsmodus ist bei fast allen angeborenen Stoffwechselstörungen autosomal rezessiv.
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Auf den 3 Ebenen der Diagnostik sind in späterer Folge auch die meisten Therapiestrategien aufgebaut; d. h. es wird therapeutisch versucht,
1.
die Metabolite zu normalisieren (z. B. Ernährungstherapie),
2.
das Enzym zu ersetzen (durch Enzymersatztherapie) oder
3.
die zugrunde liegende Mutation zu korrigieren (z. B. durch Knochenmark- oder Organtransplantationen).
Merke.
Bei Verdacht auf angeborene Stoffwechselstörung ist es vorrangiges Ziel, bei denjenigen Erkrankungen, bei denen eine therapeutische Option besteht, so bald wie möglich eine Diagnose zu sichern, um mögliche Folgeschäden zu minimieren.
Klinische Bilder
Um in der Vielfalt der angeborenen Stoffwechseldefekte in Bezug auf die Pathogenese einen Überblick zu bekommen, bewährt es sich, die Patienten in 4 klinische Bilder einzuteilen [6]: Neurodegeneration, Speicherung, Energiedefizienz und Intoxikation. Dabei bilden jeweils die erstgenannten Bilder und die letztgenannten ein Paar. Neurodegeneration/Speicherung steht für Abbaustörungen im Stoffwechsel großer, biochemisch inerter Moleküle; Energiedefizienz/Intoxikation umfasst Abbaustörungen im Stoffwechsel kleiner, biochemisch aktiver Moleküle (Tab. 1). Beispiele für Neurodegeneration/Speicherung finden sich in den Abb. 2, 3 und 4.
Erkrankungen aus dem Spektrum der Energiedefizienz/Intoxikation betreffen meistens Störungen des mitochondrialen Stoffwechsels (Mitochondriopathien) bzw. des Abbaus von Kohlenhydraten, Aminosäuren und Fettsäuren, die dazu führen, dass nicht genug Substrat für die Versorgung der Organe zur Verfügung steht (Energiedefizienz) bzw. dass bei vermehrtem Bedarf oder in katabolen Situationen körpereigenes Fett oder Eiweiß abgebaut wird und der Anstau toxischer Metabolite zu dem Bild einer akuten Entgleisung führt (Intoxikation). Notfallmäßig muss bei dieser Erkrankungsgruppe im Routinelabor durchgeführt werden: eine venöse Blutgasanalyse (pH), die Bestimmung von Blutglukosekonzentration, von Blutammoniak- und Laktatkonzentrationen und der Ketonkörperkonzentration im Blut (meist aufwendig, daher Bestimmung im Harn über konventionelle Harnstreifen). Gezielte Suchtests sind die Bestimmung der Aminosäuren im Plasma (und Harn), die Bestimmung der organischen Säuren im Harn und die Bestimmung des Acylcarnitin-Profils im Trockenblut oder Plasma.
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Neben der Einteilung in die 4 klinischen Bilder können gelegentlich auch Symptomkombinationen bzw. bestimmte Dysmorphien auf das Vorliegen einer angeborenen Stoffwechselstörung hinweisen.
Beim Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (s. Abb. 5) handelt es sich um eine Störung in der Cholesterinbiosynthese, für die im Routinelabor ein niedriges Gesamtcholesterin im Plasma hinweisend ist. Die Betroffenen fallen auf mit Mikrozephalie und antevertierten Nares. Über 90 % zeigen eine Syndaktylie der 2. und 3. Zehe (Abb. 5). Der gezielte Suchtest ist eine Analyse der Sterole im Plasma, in der der Anstau von 7‑ und 8‑Dehydrocholesterol geprüft wird.
Eine Gruppe von Erkrankungen, die durch eine Multisystembeteiligung auffallen und fallweise auch charakteristische Symptomkombinationen zeigen, sind die kongenitalen Glykosylierungsstörungen (CDG; Beispiel CDG Ia in Abb. 6). Das Routinelabor kann Störungen in der Funktion glykosylierter Proteine zeigen, z. B. Erhöhung der Konzentration an Thyreoidea-stimulierendem Hormon, Gerinnungsstörungen. Der gezielte Suchtest für diese Gruppe von Erkrankungen ist die isoelektrische Fokussierung von Transferrin im Plasma. Eine ursächliche Therapie ist bisher nur für 2 der etwa 100 Erkrankungen aus dieser Gruppe verfügbar.
Bei ungewöhnlichen Symptomkombinationen oder klinischen Verläufen erhebt sich der Verdacht auf das Vorliegen einer angeborenen Stoffwechselstörung. Manche Parameter aus dem Routinelabor können hilfreich sein, meistens ist für die Eingrenzung der Diagnose die Durchführung gezielter Suchtests (selektives Screening; Tab. 2) erforderlich. Die Verdachtsdiagnose wird im Idealfall enzymatisch und/oder molekulargenetisch gesichert. Vorrangiges Ziel ist, für Erkrankungen mit therapeutischer Option so bald wie möglich eine Diagnose zu stellen, um mögliche Folgeschäden zu minimieren, eine gute Entwicklung zu ermöglichen und eine gute Lebensqualität zu erreichen.
Tab. 2
Gezielte Laborsuchtests (selektives Screening)
Neurodegeneration/Speicherung
Hinweis für
Isoelektrische Fokussierung von Transferrin und ApoCIII im Plasma
Kongenitale Glykosylierungsstörung
Überlangkettige Fettsäuren im Plasma
Peroxisomale Erkrankungen, z. B. X‑Adrenoleukodystrophie
Sterolsynthese im Plasma
Cholesterinbiosynthesestörungen, z. B. Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
Mukopoly‑, Oligosaccharide im Harn
Lysosomale Erkrankungen, z. B. Mukopolysaccharidosen
Energiedefizienz/Intoxikation
Aminosäuren im Plasma (und Harn)
Organische Säuren im Harn
Acylcarnitin-Profil im Trockenblut oder Plasma
Acknowledgements
Open access funding provided by University of Innsbruck and Medical University of Innsbruck.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
D. Karall und S. Scholl-Bürgi geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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