Obwohl für die intensivmedizinische Behandlung der Sepsis umfassende und international abgestimmte Behandlungsrichtlinien vorliegen, ist das Outcome der Sepsis weiterhin nicht zufriedenstellend. Auf Initiative der ÖGARI und auf Einladung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erarbeitete eine multidisziplinär besetzte Arbeitsgruppe ein Konsenspapier Sepsis, das in Form von neun Aktionsfeldern Empfehlungen zur Prävention, Diagnose, medizinischen Behandlung und Nachsorge einer Sepsis formuliert.
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Ausgangssituation
Von der ersten Idee eines Nationalen Aktionsplans Sepsis bis zur Fertigstellung eines Konsensuspapiers hat es fast fünf Jahre gedauert.
Die Sepsis ist eines der wenigen Krankheitsbilder in der Intensivmedizin, für die umfassende und auch international abgestimmte Behandlungsrichtlinien vorliegen, zum Beispiel die „Surviving Sepsis Campaign“ (SSC) Guidelines [1] oder auch die AWMF-Leitlinie „Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge“ [2]. Allen Fortschritten der Intensivmedizin zum Trotz ist das Outcome der Sepsis aber weiterhin nicht zufriedenstellend. Die Global Sepsis Alliance (https://www.global-sepsis-alliance.org/) berichtet von 47–50 Mio. Erkrankungsfällen und mindestens (!) 11 Mio. Todesfällen pro Jahr. Der österreichische „Beitrag“ zu diesen durchaus beeindruckenden Zahlen ist leider nicht genau bekannt, denn im Gegensatz zu der Erkrankung durch einzelne Sepsiserreger, wie zum Beispiel Pneumokokken, ist die Sepsis per se in Österreich nicht meldepflichtig. Wir müssen also von einer hohen „Dunkelziffer“, etwa infolge ungemeldeter septischer Komplikationen auf unseren Intensivstationen, ausgehen. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, hat Univ.-Prof. Walter Hasibeder bereits 2019 in seiner damaligen Funktion als Stellvertreter Intensivmedizin im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) eine Hochrechnung anhand der sehr wohl bekannten Zahlen aus Deutschland angestellt. Demzufolge sterben in Österreich mehr Menschen pro Jahr an einer Sepsis als am Myokardinfarkt oder am Bronchuskarzinom [3].
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Berufspolitisches Engagement der ÖGARI
Die nicht zufriedenstellende Dokumentation intensivmedizinischer Verläufe, aber auch das Wissen um die Notwendigkeit, die gesamte Patient:innenreise in den Blick nehmen zu müssen, um – endlich – auch das Outcome der Sepsis zu verbessern, hat die ÖGARI bereits 2019 zum Anlass genommen, ein Memorandum zu einem Nationalen Aktionsplan Sepsis zu initiieren. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe wurden Vorschläge erarbeitet mit dem Ziel, auch in Österreich die von der WHO geforderte vermehrte Aufmerksamkeit für Prävention, Diagnose und medizinische Behandlung schwerer Infektionen zu erreichen.
Dieses „Arbeitspaket“ wurde 2019 an mich weitergereicht und gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des ÖGARI-Vorstands wurden die erarbeiteten Vorschläge auf verschiedensten Wegen den relevanten Stellen/Personen vorgelegt. 2021 – trotz oder vielleicht auch aufgrund der COVID-Pandemie (Anm.: bei entsprechender Ausprägung auch eine Form der Sepsis), erging schließlich die Einladung an das ÖGARI-Sekretariat, eine:n Expert:in für die Mitarbeit an einem Nationalen Aktionsplan Sepsis zu nominieren. Nota bene kam diese Einladung von PD DDr. Reinhild Strauß, MBA aus dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) – erfolgte also auf Bundesebene. Eine gleichlautende Einladung erging auch an viele weitere Expert:innen aus den unterschiedlichen Bereichen der Medizin und Pflege, sodass eine erfreulich multidisziplinär besetzte Arbeitsgruppe die Arbeit an dem Nationalen Aktionsplan Sepsis aufnehmen konnte.
Die Arbeit am Nationalen Aktionsplan Sepsis
Es folgten zahlreiche Arbeitssitzungen in der Groß-, und, nachdem die Arbeitspakete verteilt waren, auch in mehreren Kleingruppen, es wurden Präsentationen vorbereitet und Textentwürfe erstellt, Gäste eingeladen und umfassend diskutiert. Schlussendlich, nach fast zwei Jahren und externem Review, wurde die Arbeit am Nationalen Aktionsplan Sepsis im Juni 2023 vorerst abgeschlossen.
Danach ist leider nicht mehr sehr viel passiert, mit Ausnahme der Tatsache, dass das inhaltsgleiche (!) Papier in Konsensuspapier Sepsis umbenannt wurde und über die Homepage des Bundesministeriums verfügbar gemacht wurde. Als öffentlichkeitswirksamste Maßnahme wird durch das Team um PD Strauß seit 2022 regelmäßig am Welt-Sepsis-Tag (also am 13. September) ein einschlägiges Symposium mit internationalen und nationalen Sprecher:innen veranstaltet.
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Wesentliche Inhalte des Konsensuspapiers Sepsis
Nach einigem Hin und Her wurde in der multidisziplinären Arbeitsgruppe beschlossen, dass ein Nationaler Aktionsplan die Aktionsfelder enthalten soll, die die oben schon erwähnte gesamte Patient:innenreise umfassen und bei Umsetzung eine holistische Behandlung von Patient:innen mit Sepsis ermöglichen. Ergo wurden neun Aktionsfelder definiert:
1.
Definition: Trotz der schon seit einigen Jahren vorliegenden Definition der Sepsis als Immunreaktion mit Organdysfunktion [4] wird v. a. in der Öffentlichkeit immer noch der nicht zutreffende Begriff der „Blutvergiftung“ verwendet. Um hier ein Umdenken zu ermöglichen, werden in offiziellen Informationen nun beide Begrifflichkeiten verwendet (z. B. https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/immunsystem/sepsis-blutvergiftung.html)
2.
Leitlinien: In Anbetracht der bereits vorliegenden Empfehlungen der SSC und der AWMF bestand kein Bedarf für neue Empfehlungen, ergo wurde „nur“ auf diese verwiesen.
3.
Prävention: Unter anderem wurden die bereits vorliegenden Empfehlungen etwa zur Händehygiene und zu Impfungen (z. B. Pneumokokken) übernommen.
4.
Datenlage: Hier wurde der weiter oben bereits geschilderte Bedarf nach Ausbau/Aktualisierung der Dokumentation (der Sepsis, aber auch der Intensivbehandlung inklusive Therapeutic Intervention Scoring System TISS-28) ausformuliert.
5.
Awareness: Die breite Information der Bevölkerung durch Kampagnen vergleichbar mit Could it be sepsis in Großbritannien (siehe auch https://sepsistrust.org/) wurde von der Gruppe als zu risikoreich im Hinblick auf „Panikmache“ beurteilt. Sehr wohl aber wurde medizinisches Personal im Pflegebereich und im niedergelassenen Bereich als wichtige Zielgruppe für bewusstseinsfördernde Maßnahmen identifiziert. Dr. Oliver Lammel von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin hat für seine Kolleg:innen eine Checkliste Der augenscheinlich kranke Patient ausgearbeitet, die ein strukturiertes Vorgehen bei Sepsisverdacht erleichtert.
6.
Diagnostik: Die 24/7-Verfügbarkeit von mikrobiologischer Diagnostik inklusive therapierelevanter Befunde wurde von de facto allen Kolleg:innen als unentbehrlich angesehen. Somit wurde eine weitere der von der ÖGARI bereits 2019 genannten Maßnahmen in das Konsensuspapier aufgenommen.
7.
Post-Sepsis-Versorgung: Für Details zur Post-Sepsis-Versorgung und, weiter gefasst, zur Post-ICU-Care, darf ich auf unseren Artikel in den letzten ANÄSTHESIE NACHRICHTEN verweisen [5]. Erfreulicherweise hat dieses wichtige Thema auch im Konsensuspapier Platz gefunden.
8.
Künstliche Intelligenz: Das Konsensuspapier hebt das große Potenzial der Künstlichen Intelligenz für die Früherkennung, Diagnose und Behandlung von Sepsis hervor. An der Klinischen Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin der Medizinischen Universität Wien/AKH Wien werden in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut Digital Health and Patient Safety zahlreiche Forschungsprojekte dazu umgesetzt.
9.
Behandlungspfad: Sepsis-Behandlung kann nur dann als gelungen angesehen werden, wenn der:die Patient:in in allen Facetten des biopsychosozialen Gesundheitsmodells betreut werden kann. Der Behandlungspfad wurde vom Team des Bundesministeriums auch grafisch ausgestaltet (Abb. 1).
Abb. 1
Sepsis-Versorgungspfad (Quelle: BMSGPK)
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Von den Pädiater:innen im Expert:innenteam wurden alle Aktionsfelder auch für die pädiatrische und neonatologische Sepsis ausformuliert.
Abschließende Einschätzung
Mit dem Konsensuspapier Sepsis liegt meiner Meinung nach eine sehr brauchbare Grundlage zur Untermauerung berechtigter Forderungen zur Verbesserung der Sepsis-Behandlung in Österreich vor. Wir stehen allerdings vor der Herausforderung, dass es sich dabei um eine Initiative des Bundes handelt, deren Umsetzung aber in die Verantwortung der Länder fällt. Schon in COVID-Zeiten hat sich gezeigt, dass diese Aufteilung für die Bewältigung des globalen Gesundheitsproblems Sepsis denkbar ungeeignet ist. Vielleicht gelingt es uns, gerade auch wegen der Erfahrungen der Pandemie, es dieses Mal besser zu machen. Dazu wird es auf jede:n ankommen: Bitte helfen Sie nach Maßgabe Ihrer Möglichkeiten mit!
Infobox Konsensuspapier Sepsis
Das Konsensuspapier Sepsis steht auf der Website des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als Download zur Verfügung.
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Interessenkonflikt
E. Schaden gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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