Wie man indirekt Sicherheit generieren kann.
Thomas Kainrath
Man merkt, dass der Sommer nicht mehr weit ist. Die Reiselustigen trotzen Teuerung und Klimakrise und buchen fleißig bei den Billigairlines, denn unbequem kommt man schließlich auch ans Ziel. Ohnehin können nicht alle unbeschwert reisen. Jeder Dritte hat, wenn schon keine ausgewiesene Flugangst, ein mulmiges Gefühl beim Betreten eines Fliegers. Schließlich ist es rein physikalisch gar nicht möglich, 200 übergewichtige Passagiere und 200 übergewichtige Handgepäcksstücke in der Luft zu halten. Dadurch, dass in der Regel nur zwei Piloten an Bord sind und nicht ein Dritter, hat statistisch zumindest niemand im Cockpit ein mulmiges Gefühl.
Für ängstliche Flugreisende hilft es, sich mental auf die Situation vorzubereiten. Systematische Desensibilisierung nennt die Psychologie die Methode, bei der man solche Phobien bekämpfen kann, indem man zuerst einmal ein Bild eines Flugzeuges ansieht, dann einen Film, bevor man, unter therapeutischer Begleitung, das Flugzeug streicheln kann. Oder man benutzt am Montagmorgen die U-Bahn und trinkt dabei Tomatensaft. Wer das überlebt, ohne dabei erstickt zu werden oder sich anzuschütten, ist fit für jede Turbulenz.
Die anderen generieren ihr Gefühl der Sicherheit aus Surrogatparametern: Wenn Phänomene schwer messbar sind, hilft es, sich leichter messbare Werte anzusehen, die mit den Phänomenen korrelieren. Ist man sich etwa nicht sicher, ob die Milch in der Packung verdorben ist, lässt man den Partner kosten und schließt anhand des Gesichtsausdrucks auf die Qualität der Milch.
Da die meisten Ängste daher rühren, dass man von der Aeronautik nicht allzu viel versteht, bedient man sich zur Beruhigung solcher Surrogatparameter. Rumpelt es bei Turbulenzen oder raucht es aus einem der Triebwerke, so genügt oft ein Blick auf das Personal an Bord. Wird weiterhin Kaffee ausgeschenkt, kann es nicht so schlimm sein. Erst wenn sich die Flugbegleiter fest angeschnallt am Sitz bekreuzigen oder der Kapitän im Schettino-Style mit Fallschirm die Maschine verlässt, sind Zweifel an der Sicherheit angebracht. Auch der Blick in die Business Class mit den geschäftigen Vielfliegern lohnt sich. Solange das Flugzeug nicht ernsthaft droht, auseinanderzubrechen oder der Prosecco aus ist, bleibt der Laptop offen. An den anderen Mitreisenden lässt sich erkennen, dass man in zehn Minuten zur Landung ansetzt, wenn sie mit Sack und Pack in 5.000 Metern Höhe am Gang ungeduldig darauf warten, endlich auszusteigen. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Menschen mit auf die Reise zu nehmen, der noch mehr Angst hat als man selber. Mit einem solchen „Opferwürstel“ am Nebensitz generiert man die eigene Kraft aus dem Mitreisenden.
Auch im Krankenhaus können sich medizinisch unbedarfte und stark blutende Patienten auf der Unfallstation in Sicherheit wiegen, solange man grob aufgefordert wird, zuerst ein Formular auszufüllen. Ein unfreundlicher Surrogatparameter, der uns doch so viel Angst nehmen kann. Das sollte man bedenken, bevor man sich das nächste Mal beschwert.