Hintergrund
Der Begriff der Transition umfasst einen multidimensionalen Prozess mit lebensverändernden Ereignissen. Damit ist einerseits die sensible Phase des Übergangs vom Jugend- ins Erwachsenenalter gemeint, andererseits bedient sich die Medizin der Begrifflichkeit im Sinne eines Transfers von einer jugendpsychiatrischen hin zur erwachsenenpsychiatrischen Versorgung [
1]. Diese Lebensphase im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, die auch als
Emerging Adulthood definiert wird, ist durch ein hohes Maß an Instabilität und demografischen Wandel und ein damit zusammenhängendes Auftreten von psychischen Störungen gekennzeichnet [
2,
3]. Empirischen Studien zufolge sind 50 % aller psychischen Erkrankungen im Alter von 14 Jahren und 75 % im Alter von 24 Jahren manifest [
4]. Etwa 23,9 % der österreichischen Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 und 18 Jahren leiden an einer psychischen Erkrankung [
5]. Darüber hinaus müssen Jugendliche in dieser Phase die von Erikson (1968) [
6] in seinem Stufenmodell benannte Krise der Ich-Identität vs. Ich-Identitätsdiffusion lösen, die unter Umständen zu einer Identitätskrise aufgrund der zunehmenden Diskrepanz der Selbst- und Fremdwahrnehmung führen kann [
7]. Für Patient:innen in kinder- & jugendpsychiatrischen Einrichtungen, die sich mit anhaltenden und schweren psychischen Störungen präsentieren, bedeutet das Erreichen ihrer Volljährigkeit zugleich ein Wechsel in ein Gesundheitssystem für Erwachsene. Dieser Behandlungsübergang findet in den meisten EU-Ländern, so auch in Österreich, häufig unstrukturiert und mit Unterbrechungen in der Versorgung statt [
8,
9]. Negative Auswirkungen auf Krankheitsverläufe und Prognosen der Betroffenen können die Folge sein [
4]. Laut der britischen TRACK-Studie (
Transition from CAMHS to Adult Mental Health Services) erfahren nur ca. 5 % der betroffenen Jugendlichen eine optimale Transition [
10]. Eine fehlende Kommunikation zwischen den Behandler:innen sowie eine Überforderung der Jugendlichen durch die zunehmende Selbstverantwortung verstärkt den ohnehin schwierigen Übergang und mündet in häufige Behandlungsabbrüche [
11].
Da die Verbesserung der Transitionspsychiatrie in den EU-Ländern derzeit einen hohen Stellenwert einnimmt, wurde von der Europäischen Union ein länderübergreifendes Forschungsprojekt zu diesem Thema realisiert, die sogenannte Milestone Study [
12]. Das Ziel der Studie bestand darin, eine organisierte Transition durch die Entwicklung spezifischer Messinstrumente (TRAM: Transition Readiness and Appropriatness Measure und TROM: Transition Related Outcome Measure) und Trainingsmöglichkeiten für Mitarbeiter:innen sowie die Langzeitverfolgung von ehemaligen kinder- und jugendpsychiatrischen Patient:innen zu fördern. Zu diesem Zweck wurde in einem Zeitraum von 2014 bis 2019 das in der Milestone-Studie entstandene Modell einer organisierten Transition in einer prospektiven Kohortenstudie an über 1000 Jugendlichen sowie 900 Eltern und Mitarbeitern überprüft [
12]. Dabei konnte gezeigt werden, dass sich die Symptome der Jugendlichen, bei denen eine organisierte Transition durch Rückmeldung der Transitionsbereitschaft durchgeführt wurde, schneller besserten als die von den Jugendlichen aus der Kontrollstichprobe mit dem üblichen Vorgehen [
13].
Die Umfrage von Pollak, Kapusta, Diehm, Plener und Skala [
14], konnte zeigen, dass eine unorganisierte Transition auch in Österreich von 98,8 % der befragten Kliniker:innen als ungünstig bewertet wird, 83,7 % würden sich eine Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit an den Schnittstellen wünschen und 65,1 % würden eine Erweiterung der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung bis zum 24. Lebensjahr befürworten.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Studie nun mit der Frage, welche transitionspsychiatrischen Merkmale und Bedürfnisse betroffene Adoleszenten in Österreich aufweisen und welche zukünftigen Behandlungsstrategien im Bereich der Transitionspsychiatrie daraus abgeleitet werden können. Da der Aufbau einer stabilen Identität zu den zentralen Entwicklungsaufgaben von Adoleszenten zählt [
1‐
3,
6,
15], wurde darüber hinaus erstmalig untersucht, inwiefern es Zusammenhänge zwischen der Identitätsentwicklung und der Transitionsbereitschaft bzw. des -bedarfs von Adoleszenten in der Transitionsphase gibt. Die Hypothesen dazu lauteten wie folgt: 1. Eine geringe Transitionsbereitschaft von Patient:innen im Alter von 17 bis 24 Jahren steht im Zusammenhang mit einer Identitätsdiffusion. 2. Ein hoher Transitionsbedarf von Patient:innen im Alter von 17 bis 24 Jahren steht in Zusammenhang mit einer diffusen Identitätsentwicklung.
Diskussion
Die vorliegende Studie gewährt einen ersten Überblick über die transitionsspezifischen Merkmale und Bedürfnisse von Patient:innen im Transitionsalter in Österreich. Außerdem wurden die Zusammenhänge zwischen der Identitätsentwicklung und der Transitionsbereitschaft bzw. des -bedarfs erfasst. Dadurch können Implikationen einer zukünftigen Transitionspsychiatrie abgeleitet werden.
An der vorliegenden Untersuchung nahmen adoleszente Patient:innen im Transitionsalter zwischen 17 bis 23 Jahren teil, die vorwiegend Symptome wie Depressionen, Ängste, Manien, Aufmerksamkeitsprobleme und Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation aufwiesen.
Dabei wurden internalisierende Symptome häufiger von weiblichen Personen erlebt, während männliche Teilnehmer öfter von externalisierenden Symptomen betroffen waren. Diese Verteilung lässt sich gleichermaßen in anderen Studien finden [
22‐
25], bei denen Angsterkrankungen, Störungen des Sozialverhaltens, neurologische Entwicklungsstörungen und Depressionen ebenfalls als häufigste Störungen bei Kindern und Jugendlichen verzeichnet wurden.
Darüber hinaus gaben 33 % der Befragten der hier dargestellten Erhebung an, schon einmal psychotische Erfahrungen gemacht zu haben, ca. 44 % schilderten Selbstverletzungen und 46 % berichteten über Suizidgedanken bzw. -verhalten. Diese Ergebnisse stimmen ebenfalls mit denen anderer Erhebungen überein. Demnach wurden bei einer klinischen Population an Adoleszenten ähnlich hohe Werte von 30 bis 54 % für suizidale bzw. selbstverletzende Handlungen und 21 bis 33 % für psychotische Erfahrungen festgestellt [
23,
26,
27]. Auch die beschriebenen Einschränkungen des Funktionsniveaus (vor allem Soziales, Schlaf und Beziehungen mit Familienmitgliedern) lassen sich in vergleichbare Untersuchungen einordnen [
16,
23], welche die Förderung von sozialen Kompetenzen und Selbstmanagementfähigkeiten als eine der Kernaufgaben der transitionsspezifischen Versorgung definieren [
28‐
30].
Hinsichtlich der Transitionsbereitschaft und -barrieren ging aus der umfassenden EU-weiten Milestone-Studie [
12] hervor, dass insbesondere ein unzureichendes Wissen über geeignete Anlaufstellen, ein fehlendes Bewusstsein für die eigene Erkrankung als auch eine mangelnde Motivation, Hilfe zu suchen für einen vorzeitigen Therapieabbruch oder eine Ablehnung ursächlich sind [
31,
32]. Gleichzeitig wurden bei einem erforderlichen Behandlungswechsel vertraute therapeutische Beziehungen aufgegeben. Durch eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen KJP und EP mussten Adoleszente ihre Krankengeschichte teilweise an verschiedene Spezialisten weitergeben [
15,
31]. Gleiches spiegeln die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung wider: Die hinderlichen Faktoren einer erfolgreichen Transition äußerten sich bei den befragten Patient:innen vorrangig darin, keine Einbeziehung der Eltern bzw. Betreuer:innen zu wünschen, Schwierigkeiten beim Aufbau von Beziehungen mit dem Behandlungsteam zu haben und die Krankengeschichte wiederholt wiedergeben zu müssen. Schließlich empfanden fast 23 % das Ausmaß ihrer Behandlung als zu gering und ca. 21 % waren mit der Hilfe, die sie in der KJP erhalten hatten, unzufrieden. Viele Jugendliche fühlen sich jedoch bereit, Entscheidungen eigenständig zu treffen, meist ohne Mithilfe der Eltern [
23]. Dahingehend sehen Transitionsprogramme vor, gerade junge Menschen im Transitionsalter hinsichtlich ihrer Autonomie- und Selbstwirksamkeitsfähigkeiten gezielt zu fördern. Um sie in diesen Fähigkeiten zu unterstützen, kann eine Einführung in die Kompetenzen eines Erwachsenen (z. B. Steuererklärungen, Bewerbungsgespräche, Job- und Wohnmöglichkeiten, Sozialleistungen) ein erster Schritt sein [
29].
Da der Aufbau einer stabilen Identität zu den zentralen Entwicklungsaufgaben von Adoleszenten zählt [
1‐
3,
6,
15], wurde in der vorliegenden Studie auch der Zusammenhang zwischen der Identitätsentwicklung und der Transitionsbereitschaft bzw. des -bedarfs untersucht. Es konnte deutlich gemacht werden, dass eine beeinträchtigte Identitätsentwicklung mit einer geringeren Bereitschaft für eine erwachsenenpsychiatrische Behandlung assoziiert ist. Darüber hinaus stand eine nicht ausgereifte Identitätsentwicklung in Verbindung, einen erhöhten Bedarf einer Weiterversorgung zu zeigen. Da eine beeinträchtigte Identitätsentwicklung häufig Grundlage für die Entwicklung schwerwiegender Persönlichkeitspathologien darstellt, scheint es gerade bei Jugendlichen mit einer beeinträchtigten Identitätsentwicklung von Bedeutung, im Rahmen der Transition therapeutische Prozesse mit standardisierten Übergaben an die Weiterbehandler:innen aufrechtzuerhalten. Dadurch könnte sich das erhöhte Risiko von Behandlungsabbrüchen und Chronifizierungen deutlich reduzieren. Darüber hinaus sollten transitionspsychiatrische Behandlungskonzepte identitätsrelevante Themen und damit zusammenhängende Faktoren (wie z. B. Emotionsregulation, Beziehungsfähigkeit) mit beinhalten. Bereits etablierte Therapiemodelle wie die Dialektisch-Behaviorale-Therapie [
33] oder das Adolescence-Identity-Treatment [
34] könnten in die transitionsspezifische Behandlung integriert werden.
Um Adoleszenten im Transitionsalter in Österreich eine adäquate Versorgung zu ermöglichen, sollten also neben den von Singh et al. [
10] beschriebenen strukturellen Möglichkeiten (Einbezug der Jugendlichen, Informationsaustausch, parallele Arbeit von aktuellen und neuen Behandlern, Planung vor und nach dem Übergang, Behandlungskontinuität), zugleich Strategien zur Verbesserung von patientenbezogenen Faktoren (z. B. Krankheitsbewusstsein, Selbstwirksamkeit, soziale Fähigkeiten, Identitätsentwicklung und Emotionsregulation) berücksichtigt werden. Der Einsatz standardisierter Messinstrumente wie der TRAM-Fragebogen kann dazu beitragen, die individuellen Transitionsbedürfnisse zu erfassen und adäquate (Weiter‑) Behandlungen zu planen. Dementsprechend bietet das in den USA entwickelte
Steps to care Model (STCM) [
35] einen Übergangsplan für den Eintritt in die erwachsenenpsychiatrische Behandlung unter Berücksichtigung dieser Faktoren. Die in Australien begründeten sogenannten „Headspace-Zentren“ gewähren Zugang zu diagnose-, alters- und fächerübergreifenden Behandlungsmodellen und wurden mittlerweile ebenfalls in anderen Ländern wie dem Soulspace-Berlin oder dem RECOVER-Hamburg implementiert [
36,
37]. Zusätzlich kann der verstärkte Einsatz von digitalen Methoden (u. a. digitale Diagnostik, digitale Selbsthilfeprogramme, geführte online Therapien, Video-Gruppentherapien) zur Schließung von Versorgungslücken beitragen [
29,
37]. So wurde auch die in Deutschland im Rahmen des Projekts „ProTransition“ entstandene App für junge Menschen in der Transitionsphase zur Förderung der Transitionsbereitschaft, des Selbstmanagements und der Selbstwirksamkeit entwickelt und in einer randomisiert-kontrollierten Studie überprüft [
29]. Die bisher existierenden transitionspsychiatrischen Stationen in Österreich wie beispielsweise die transitionspsychiatrische Station der Klinik Hietzing in Wien oder die Adoleszenz-Tagesklinik in Innsbruck sollten weiter ausgebaut und auf andere Standorte übertragen werden [
38]. Eine wichtige Schlüsselrolle könnte auch die Forschungsgruppe DOT („Die offene Tür“) der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) und der Karl Landsteiner Privatuniversität (KL), als Österreichs derzeit einzigartiges Forschungszentrum für Transitionspsychiatrie, einnehmen [
39]. Auch Weiterbildungsangebote sollten Adoleszenten spezifische Module beinhalten.
Als Fazit ergibt sich daraus, dass eine Integration von standardisierten Messinstrumenten in institutionelle Versorgungssysteme, die die transitionsbezogenen Bedürfnisse, die Transitionsbereitschaft und den -bedarf von jungen Menschen im Transitionsalter individuell erfassen, eine zielgerichtete und bedürfnisgerechte Behandlung bzw. Transition erleichtern kann. Auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Erwachsenenpsychiatrie sowie eine kontinuierliche Überführung der therapeutischen Beziehungen im Transitionsprozess sollten standardisiert gewährleistet werden.
Limitationen
Die Limitationen der vorliegenden Erhebung bestehen vor allem in der geringen Stichprobengröße, welche sich von 300 auf 39 Patien:innen reduzierte. Dadurch wurde die Repräsentativität der Studie stark eingeschränkt. Des Weiteren wurde die Selektion der Patient:innen nicht zufällig getätigt, sondern anhand einer Telefonliste durchgeführt, wobei es zu selektiven Drop-Outs aufgrund fehlender Werte in den Fragebögen und fehlenden Einverständniserklärungen kam. Eine zusätzliche Limitation dieser Untersuchung war die schwierige Rekrutierung der Adoleszenten, die zum Teil nicht (mehr) erreichbar waren oder eine Teilnahme aufgrund von fehlendem Interesse, zeitlichen Gründen bzw. aufgrund des Fragenformats (telefonisch gestützte Online-Befragung) ablehnten. Jugendliche mit einem hohen Schweregrad ihrer Erkrankung nahmen nicht teil (sehr schwer Kranke: N = 0; 0,0 %), wodurch es möglicherweise zu einem höheren Anteil an Patienten kam, die eine aktuelle Behandlungszufriedenheit aufweisen und keine Behandlung mehr benötigen (72 %). Zukünftige Studien sollten daher auch Akutpatienten mit stationären Aufenthalten und chronischen psychischen Erkrankungen einschließen. Außerdem gaben vermehrt weibliche Teilnehmer:innen (N = 27; 69,2 %) ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Studie, wodurch internalisierende Störungen vermutlich häufiger auftraten. Auch Aspekte der sozialen Erwünschtheit während der Beantwortung der Fragebögen müssen bei den Limitationen berücksichtigt werden.
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