Träfen diese Kosten Menschen, die ohnedies finanziell sehr belastet sind? Oder wären Gebühren doch treffsicher und würden den stetig fließenden Patientenstrom um die Ambulanzen herumführen?
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Die Ambulanzen sind überfüllt. Eine Situation, die Ärzte und Patienten unglücklich macht. Und je frustrierter beide Seiten sind, desto attraktiver oder alternativloser erscheint der Weg in die private Ordination beziehungsweise zum Wahlarzt.
Es sind entscheidende Jahre. Soll der niedergelassene Bereich ausgebaut werden? Soll man das Thema Ambulanzgebühr wieder aufgreifen? Die sich zuspitzende Situation lässt die Beteiligten kreativ werden. An Ratschlägen von Expertenseite wird es der kommenden Bundesregierung jedenfalls nicht mangeln.
Andreas Huss, ÖGK-Arbeitnehmerobmann, sieht Ambulanzgebühren kritisch, spricht von einem „Retro-Vorschlag“. Gebühren träfen jene, die ohnehin die Armen der Gesellschaft seien. Wichtiger sei der Ausbau von Versorgungsangeboten, und das niederschwellig und wohnortnah, zum Beispiel in Form von Primärversorgungszentren.
Dr. Stefan Kastner, der Tiroler Ärztekammerpräsident, kann den Gebühren positive Seiten abgewinnen. Sie würden funktionieren und zur Steuerung von Patientenströmen beitragen, sagt Kastner. Nur: Als isolierte und einzelne Maßnahme dürften sie nicht betrachtet werden, führt der Leiter des ÖÄK-Referats für Notfalldienste aus. Sie seien vielmehr Teil eines Kanons an Maßnahmen, den die Politik zu ersinnen und umzusetzen habe.
Auch für SVS-Obmann Peter Lehner wäre eine Wiedereinführung der Ambulanzgebühren allein zu wenig. Und zu schlicht gedacht. Es brauche einen Wettbewerb „der guten und besten Ideen, um endlich etwas voranzubringen“. So wie jetzt gehe es jedenfalls nicht weiter. Patientenströme würden derzeit zwar gelenkt, aber in die falsche Richtung, was zu Frustrationen führe.
Markus Stegmayr
Ambulanzgebühren sind das falsche Signal
Andreas Huss, ÖGK-Arbeitnehmer-Obmann
GBH Presse
„Statt einer Wiedereinführung der Ambulanzgebühr wäre es sinnvoller, Modelle der Patientenlenkung umzusetzen. Viele Menschen haben keinen Hausarzt mehr und gehen daher immer zuerst in die Spitalsambulanz oder zum Facharzt. Patientenwege in Verbindung mit digitalen Möglichkeiten neu zu organisieren, wäre der wesentlich sinnvollere Ansatz, als Menschen in einem ungesteuerten System zu bestrafen.
Schon jetzt haben wir im Gesundheitssystem genügend Selbstbehalte. Diese umfassen die Rezeptgebühr, die Eigenkostenanteile bei den Zahnbehandlungen, bei Heilbehelfen und bei Hilfsmitteln. Eine Wiedereinführung der Ambulanzgebühr würde Menschen treffen, die bereits eine erhöhte Krankheitslast tragen. Viele Haushalte sehen sich aktuell mit vielen zusätzlichen Ausgaben für den täglichen Bedarf, rund um das Thema Energie und Wohnen also auch mit steigenden Kosten für die allgemeine Lebenserhaltung konfrontiert.
Diese Menschen im Krankheitsfall noch mehr zu belasten, wäre unsolidarisch und ein falsches Signal. Tausende Euro bezahlen die Menschen in unserem Land schon jetzt zusätzlich zu Steuern und Beiträgen für ihre Gesundheitsversorgung aus der eigenen Tasche. Investitionen in die Gesundheitsförderung, die Prävention und die Gesundheitskompetenz wären ein sinnvolleres Thema für die Regierungsverhandlungen, als den Sparstift bei den Versicherten anzusetzen. Jetzt wäre der beste Moment, die niedergelassene und ambulante Versorgung so auszubauen, dass sie für die Menschen eine attraktive Alternative mit langen Öffnungszeiten ist, in Primärversorgungszentren und Facharztambulanzen. Anstatt eine Mehrbelastung durch die Einführung einer Ambulanzgebühr zu fordern, sollte mehr Geld in die Hand genommen und nicht den Versicherten aus dem Portemonnaie gezogen werden. Wohnortnahe und niederschwellige Versorgungsangebote in Primärversorgungszentren mit einfachen Patientenwegen zu offerieren sowie Orientierungshilfen wie die Gesundheitshotline 1450 auszubauen, wäre zielführender als dieser Retro-Vorschlag der Wiedereinführung einer Ambulanzgebühr. Ambulanzgebühren sind nichts anderes als eine Strafe für kranke Menschen. Sie treffen besonders das unterste Einkommensdrittel und Familien mit Kindern. Wer die Ambulanzen entlasten will, muss den bundesweiten Ausbau des Versorgungsangebots ermöglichen, Geld investieren und nicht umschichten.“
Andreas Huss, ÖGK-Arbeitnehmer-Obmann
So wie bisher können wir nicht weiterwursteln
Dr. Stefan Kastner, Präsident Ärztekammer für Tirol
Wolfgang Lackner
„Wir haben derzeit ein Gesundheitssystem, das über die Maßen belastet ist. Einige Teile sind besonders teuer und aufwendig, diese gilt es zu schützen. Ich denke da an die Spitalsambulanzen, die ja gerade in aller Munde und umfassendes Thema sind.
Diese Ambulanzen haben ja rund um die Uhren offen. Fakt ist, dass es hier vollständig an einer Patientensteuerung fehlt, und damit funktioniert der Schutz dieses wichtigen Bereichs nicht. Informationen allein werden hier nicht ausreichen. Auch nicht das Forcieren der 1450, die ja weiterhin deutlich zu unbekannt ist. Es braucht also andere, wirkungsvolle Maßnahmen, um die Ambulanzen nachhaltig zu entlasten.
Die Ambulanzgebühr kann dabei ein Teil solcher Maßnahmen sein. Sie muss aber in einem ganzen Kanon von Maßnahmen eingebettet sein. Die Ambulanzgebühr allein wird nichts dauerhaft verbessern. Aber sie kann ein Teil von der Lösung sein. Alles in allem braucht es einen weiter ausgebauten, niedergelassenen Bereich und weitere Angebote für die Hilfe zu Selbsthilfe. Vorerst ist die Ambulanzgebühr ein Steuerungstool, das in der aktuellen Situation funktioniert.
Insgesamt sind wir gerade in einer sehr spannenden Phase. Von einer kommenden Bundesregierung, wie auch immer diese aussehen mag, erwarte ich mir eine klare Richtungsentscheidung darüber, wie es mit dem Gesundheitssystem weitergehen soll. Die Politik muss Verantwortung übernehmen und auch unschöne Sachen transportieren. Denn klar ist: So wie bisher können wir nicht weitertun. Es stellen sich Fragen der Reglementierung. Es wird nicht mehr alles rund um die Uhr möglich sein. Das Teuerste und das Schlechteste wäre es, so weiterzutun und weiterzuwursteln wie bisher. Man muss sich ansehen, wie man mit neuen Spitälern umgeht, wie man mit den begrenzten Ressourcen effizient umgeht.
Es gilt zu bewerten: Was funktioniert und was nicht? Was ist wie effizient und was kostet was? Auch ein Blick auf das Minus der Ambulanzen ist wichtig und auch die Frage danach, wann und wie ein Facharzt in manchen Fällen für den Patienten besser und kostengünstiger gewesen wäre. Am teuersten ist das stationäre Spitalbett. Kurzum: Es muss etwas weitergehen. Es ist höchste Zeit. Über die Ambulanzgebühren isoliert zu diskutieren, ohne weitere Schrauben nachzuziehen und Dinge zu verändern, wird zu wenig sein!“
Dr. Stefan Kastner, Präsident Ärztekammer für Tirol
Derzeit erfolgt die Steuerung durch das Mittel Frustration
Peter Lehner, SVS-Obmann
Lukas Ilgner
„Eines muss ich vorausschicken: Die SVS bekennt sich zu Selbstbehalten. Und auch unsere Versicherten ticken so: Sie bekennen sich dazu! Unsere Versicherten zahlen Selbstbehalte und zahlen diese auch gerne, denn die Alternative wäre eine Einschränkung der Leistungen. Das gilt sowohl für den niedergelassenen Bereich als auch für den Spitalsbereich. In diesen Kontext kommt nun das Thema Ambulanzgebühren herein. In gewisser Weise bezahlen SVS-Versicherte ja jetzt schon – eben den Kostenanteil. Aktuell sind es 26 Euro für einen spitalsambulanten Besuch.
Ich halte es für richtig, dass es diesen Kostenanteil gibt. Und auch die Diskussion über allgemeine Ambulanzgebühren ist richtig und wichtig. Es ist unbestritten, dass es eine Patientensteuerung braucht. Im Spital ist es auch unbestritten, dass Ambulanzgebühren zu einer Patientensteuerung führen. Es gibt aber womöglich bessere, kreativere Ideen. Ich bin stets für einen unternehmerisch gedachten Wettbewerb der besten Ideen. Aktuell ist aber die Ambulanzgebühr ein Mittel, das funktionieren würde.
Ein Anruf bei der 1450 allein wird als Steuerungsmaßnahme nicht ausreichen. Wir haben zwar derzeit schon eine Patientensteuerung: Die Steuerung erfolgt aber durch die Frustration, wenn ich in die Ambulanz komme. Die Ambulanzen sind überlastet. Das ist das Schlimmste, was es gibt, und zwar für alle Beteiligten. Eine Idee wäre das Vorlagern von Ambulanzen in Spitälern. Das wäre dann eine professionelle Triage. Das benötigt aber einen großen Systemumbau. Es wäre einer Primärversorgung ähnlich. Damit lässt es sich effizienter und kostengünstiger versorgen. Ich erreiche damit letzten Endes das, was ich will, nämlich eine gute und effiziente Patientenversorgung.
Zur Ambulanzgebühr gibt es noch eines zu sagen: Nur weil es in der Vergangenheit von Schwarz-Blau 1 schlecht gemacht war, muss es nicht bedeuten, dass diese nicht funktioniert. Man kann Dinge immer auch besser machen und besser umsetzen. Die Situation aktuell – ich denke da wieder an die Wartezeiten und die Lenkungen von Patientenströmen durch das problematische Mittel Frustration – ist jedenfalls unerträglich und ganz und gar nicht gut. In diesem Fall sind die Ambulanzgebühren vorerst ein geeignetes Steuerungsmittel, das hier vorübergehend Abhilfe schaffen kann.“
Peter Lehner, SVS-Obmann