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21.03.2024

Apokalyptischer Reiter

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Das Alte pocht auf seine Herrschaft und trampelt neue Utopien und Visionen nieder. Kommt Ihnen das bekannt vor? Kein Wunder. Aufstände jeder Art niederzuschlagen hat in Mittel- und in Osteuropa seit dem Mittelalter Tradition. Doch was wollten die Revoluzzer eigentlich? Der Historiker Wolfgang Maderthaner fand überraschende Antworten.

Was die mit enormem Furor vorgetragenen Volksempörungen gegen Ungerechtigkeit und Leibeigenschaft eint, ist der „radikale Wille zum Paradies auf Erden“, zitiert der Autor den Philosophen Ernst Bloch. Der Aufschrei hallte erstmals im Spätmittelalter aus der Stadt Tabor, wo sich die sogenannten „Taboriten“ unter dem Söldnerführer Jan Žižka verschanzt hatten, durch die habsburgischen Lande: „Es soll ein Leben geben, das in Gerechtigkeit, Freiheit und in Gleichheit gelebt werden kann.“

Geschichte wird von den Siegern geschrieben, sodass wir den Eindruck bekommen, es gäbe eine lineare Entwicklung von den frühen Christen bis heute. Tatsächlich werden die Brüche nur ausgeblendet. Aber woher wissen wir dann von den Verlierern und ihren gescheiterten Versuchen, die herrschende Ordnung zu stürzen, von ihren Ideen? Wir erfahren es aus den Folterprotokollen der gefangenen Aufständischen und aus den Korrespondenzen prominenter Zeitgenossen, die sich über die Bauernkriege austauschten. Von Leuten wie Voltaire, Friedrich dem Großen. Mit anderen Worten: Die Spuren sind da, aber sie sind verwischt und man stößt, selbst als Gelehrter, nur zufällig auf sie.

Maderthaner las eine Stelle in einem Brief des französischen Schriftstellers an den preußischen König vor, in der er sich nach der Trommel des Žižka erkundigt, die bei der Eroberung der Festung Glatz ( polnisch: Kłodzko ) in Niederschlesien in Friedrichs Hände gefallen sein soll ( Anm.: die Trommel war eine besondere Reliquie, denn sie war angeblich mit der Haut des Hussitenhauptmanns bezogen ). Maderthaners Neugier war geweckt. „Es tut sich sofort eine Welt auf, die auch für den Historiker überraschend ist.“

Žižka von Trocnov (1360-1424) entstammte dem niedrigen südböhmischen Adel, der sich nur unwesentlich vom Stand des freien Bauern unterschied. Als Legionär kämpfte er in Bandenkriegen gegen den Landeshauptmann Oldřich II. z Rožmberka (Ulrich II. von Rosenberg), er zog mit den Ungarn gegen die Türken und schlug sich aufseiten der Polen gegen den Deutschen Ritterorden; er war auch in Spanien; „Žižka war überall“. Schließlich wurde er Mitglied der Palastwache des böhmischen Königs. Den Gottesdienst besuchte er in der Prager Maria-Schnee-Kirche, wo der Reformator Jan Želivský im Sinne des Jan Hus eine Kirche der Armen und kleinen Leute predigte. Nach der Hinrichtung von Hus musste auch Želivský das Schlimmste befürchten, daher plante er den ersten Schlag. Er hetzte die Kirchengemeinde auf, die dann vor das Neustädter Rathaus zog. Angeblich löste ein Steinwurf in die aufgebrachte Menge den Sturm auf das Rathaus und den ersten Prager Fenstersturz aus, dessen Zeuge Žižka, ein Anhänger der Lehren von Jan Hus, wurde; vermutlich führte er den hussitischen Angriff sogar an.

Danach zog sich Žižka mit seinen Verbündeten zurück, um südlich von Prag eine Kommune zu gründen, benannt nach dem Berg Tabor aus dem Alten Testament. „Hier verfolgt er so etwas wie einen pantheistischen Kommunismus.“ Es herrschte Gleichheit, auch zwischen Mann und Frau, wohlgemerkt. Es wurde eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt, für Männer, Frauen und Kinder. Das gesellschaftspolitische Experiment zog Menschen aus ganz Europa an. Die Mächtigen konnten die Taboriten nicht länger ignorieren. Papst Martin V. rief 1420 veranlasst, gemeinsam mit dem Luxemburger Kaiser Sigismund einen Kreuzzug gegen die Hussiten aus; ein wichtiger Verbündeter war der Habsburger Albrecht V., der Sigismund nachfolgen sollte. Die kaiserlichen Truppen zogen fünfmal gegen die Kommune, aber immer den Kürzeren. Žižka regierte mit harter Hand.

Maderthaner fand heraus, dass „die Taboriten die Auflösung des Unterschieds zwischen Mein und Dein verfolgt haben. Jeder, der etwas besitzt, begeht eine Todsünde.“ Die Priester wurden gewählt, genauso wie die Richter und die Hauptleute. Und es herrschte eine apokalyptische Endzeiterwartung vor. Man ging 100-prozentig davon aus, dass sich Jesus die Entartung seiner Kirche, diese rabiate Ungerechtigkeit nicht länger anschauen würde. Er würde herabsteigen und Gericht halten. „Aber: Bis das eintritt, muss vorgearbeitet werden.“

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Metadaten
Titel
Apokalyptischer Reiter
Publikationsdatum
21.03.2024

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