Nebenniere
Der Begriff des „hepatoadrenalen Syndroms“ bezeichnet das Auftreten einer Nebenniereninsuffizienz, also einer ungenügenden Produktion von Cortisol durch die Nebennieren, bei Patient:innen mit Leberzirrhose. Die Prävalenz dieses hepatoadrenalen Syndroms wird in verschiedenen Studien abhängig der Schwere der Lebererkrankung mit bis zu 40 % bei Child-Pugh-A-Zirrhose und bis zu 70 % bei Child-Pugh-C-Zirrhose angegeben [
11]. Diese doch ungewöhnlich hohen Zahlen müssten sich eigentlich im klinischen Alltag deutlich abbilden, was jedoch der klinischen Erfahrung nicht entspricht (zumindest meiner persönlichen). Ein genauerer Blick der in diese Studien eingeschlossenen Patient:innenkohorten könnte helfen, die hohen Prävalenzzahlen zu erklären.
Gemäß den Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften für Endokrinologie ist eine Nebenniereninsuffizienz durch eine Serumcortisolkonzentration von <18 µg/dl definiert, wobei hier häufig ein Cortisolstimulationstest zur definitiven Diagnose bei grenzwertigen Blutbefunden erforderlich ist [
12]. Allgemein gültige Referenzwerte für die Menge des freien Cortisols, die entweder im Blut durch die Mitbestimmung des cortisolbindenden Globulins errechnet oder im Speichel direkt gemessen werden kann, gibt es nicht.
Cortisol ist im Blut an Bindungsproteine gebunden und nur zu einem geringen Ausmaß als freies Cortisol vorliegend. Die Bindungsproteine werden in der Leber gebildet und somit weniger bei fortschreitender Leberzirrhose. Demnach kann eine Leberzirrhose mit niedrigeren Gesamtcortisolwerten einhergehen, ohne dass aber die freie biologisch wirksame Cortisolkonzentration wesentlich verändert ist. So zeigen Studien deutliche Unterschiede im Auftreten der Nebenniereninsuffizienz abhängig von der Verwendung des gesamten Serumcortisols im Vergleich zum freien Speichelcortisol [
13]. Die klassischen Diagnosekriterien aus der Allgemeinbevölkerung dürften somit die Prävalenz bei Patient:innen mit Leberzirrhose deutlich überschätzen.
Andererseits bestehen zahlreiche potenzielle Ursachen für die Entstehung einer Nebenniereninsuffizienz bei Patient:innen mit Leberzirrhose. Hier gibt es sowohl primäre, die Nebenniere direkt betreffende Faktoren, wie eine Einschränkung der Hormonsynthese aufgrund eines mit der Leberzirrhose assoziierten Cholesterinmangels, als auch eine Minderperfusion der Nebenniere. Auch die direkten Folgen erhöhter Gallensäurekonzentrationen auf die Nebenniere wären möglich [
14].
In einer rezent publizierten Arbeit des Wiener Leberzirrhoseregisters fand sich eine Assoziation von niedriger Gesamtcortisolkonzentration (unabhängig von der Prävalenz einer Nebenniereninsuffizienz) mit einem erhöhten Risiko für mit einer Leberzirrhose assoziierte Komplikationen.
Die Ursache für diesen Zusammenhang ist unklar. Wie auch in anderen Publikationen fand sich trotz fallender Cortisolkonzentration bei fortschreitendem Zirrhosestadium kein Anstieg des ACTH, also des die Nebennieren stimulierenden Hormons aus dem Hypophysenvorderlappen [
15]. Dies spricht gegen eine primäre Nebennierenschwäche, sondern eher für eine sekundäre/tertiäre Insuffizienz. Dies könnte durch die chronische Hyperinflammation im Rahmen der schweren Grunderkrankung – ähnlich wie beim zuvor beschriebenen „non-thyroidal illness syndrome“ – zu einem chronischen negativen Feedback auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse führen und dadurch die Cortisolsynthese hemmen.
Unabhängig von der bestehenden Schwierigkeiten in der definitiven Diagnose bei nicht eindeutig interpretierbarem Gesamtcortisolwert ist eine akute Nebenniereninsuffizienz eine lebensbedrohliche Erkrankung, die einer unmittelbaren therapeutischen Glukokortikoidsubstitution bedarf. Jedenfalls an die Möglichkeit einer Nebenniereninsuffizienz bei Patient:innen mit Leberzirrhose sollte man bei kritisch kranken Patient:innen mit anhaltender Hypotension und hohem Katecholaminbedarf denken. Bei hämodynamisch stabilen Patient:innen sind klassische Alarmzeichen des Cortisolmangels eine zunehmende Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsabnahme sowie neu auftretende niedrige Blutdruck- oder Blutzuckerwerte. Laborchemisch ist als erstes Zeichen oftmals eine isolierte Hyponatriämie auffallend. Hier sollte insbesondere bei fehlendem Vorliegen anderer wahrscheinlicher Ursachen, wie Aszites oder eine laufende Diuretikatherapie, an einen Cortisolmangel gedacht werden.
Bei klinischem Verdacht auf eine akute Nebenniereninsuffizienz sollte bereits vor Diagnosesicherung eine Glukokortikoidsubstitution begonnen werden. Das bevorzugte Glukokortikoidpräparat ist Hydrocortison, das dem körpereigenen Cortisol aufgrund der kurzen Halbwertszeit am ähnlichsten kommt. Dabei sind ein sofortiger i.v.-Bolus von 100 mg Hydrocortison gefolgt von Hydrocortison über eine Spritzenpumpe mit 200 mg über 24 h oder alternativ Kurzinfusionen von Hydrocortison mit 50 mg alle 6 h empfohlen. Sollte Hydrocortison nicht vorliegend sein, kann jedoch selbstverständlich auch jedes andere Glukokortikoidpräparat verwendet werden, wobei die Unterschiede in der Dosisäquivalenz zu berücksichtigen sind (20 mg Hydrocortison entsprechen in etwa 5 mg Prednisolon bzw. 0,5–0,75 mg Dexamethason; [
16]).
Schilddrüse
Metaanalysen beschreiben verminderte Konzentrationen der zirkulierenden Schilddrüsenhormone (fT
4 und fT
3) im Vergleich zu einer gesunden Kontrollpopulation [
6]. In einer rezent publizierten Analyse der Wiener Kohorte von Patientinnen mit fortgeschrittener Lebererkrankung konnten wir mit zunehmendem Erkrankungsstadium geringere fT
3 sowie steigende TSH-Konzentrationen beobachten, wobei insbesondere ein erniedrigter fT
3-Wert als unabhängiger Prädiktor für zukünftige Dekompensationen gefunden wurde [
17]. Die starke Assoziation zwischen TSH und fT
3 mit Inflammationsparametern zeigt hier Ähnlichkeiten zum „non-thyroidal illness syndrome“, also dem Abfall der peripheren Schilddrüsenhormone bei kritisch kranken Patient:innen. Hier gibt es ebenfalls eine inverse Assoziation zwischen der Schilddrüsenhormonkonzentration und dem Gesamtüberleben, jedoch keine Evidenz eines Überlebensvorteils durch eine Hormonsubstitution [
18]. Ähnlich wie beim „non-thyroidal illness syndrome“ gehen wir daher auch bei Patient:innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose eher von einem adaptiven Mechanismus der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse aus. Für einen Nutzen einer Schilddrüsenhormonsubstitution bei diesen Patient:innen gibt es bislang keine Evidenz.
Gonaden
Auch ein Hypogonadismus, also die ungenügende Produktion von Testosteron bei Männern und Östrogen bei Frauen, ist eine häufig vorkommende endokrinologische Komplikation bei Patient:innen mit Leberzirrhose. Ursächlich kommt sowohl eine direkte Schädigung der Gonaden, z. B. durch die toxische Wirkung übermäßigen Alkoholkonsums, als auch eine sekundäre hypothalamisch/hypophysäre Beteiligung durch die Hemmung der Gonadotropinfreisetzung im Rahmen der fortgeschrittenen Grunderkrankung und der Hyperinflammation infrage. Zusätzlich kommt es bei Leberzirrhose paradoxerweise häufig zu einem Anstieg des sexualhormonbindenden Globulins (SHBG), also des das Geschlechtshormon im Blut bindenden Eiweißes. Bei Männern weiters relevant sind die antiandrogenen Effekte von Spironolacton, das für die Behandlung des sekundären Hyperaldosteronismus bei portaler Hypertension regelmäßig eingesetzt wird [
19].
Testosteron beim Mann spielt eine wesentliche Rolle in der Regulation der Körperzusammensetzung und hat anabole Effekte auf die Muskulatur sowie den Knochen. Bei Patienten mit Leberzirrhose korreliert ein Testosteronmangel eng mit dem Auftreten von Sarkopenie und Osteopenie und könnte daher auch für die Entwicklung und Verschlechterung einer mit fortschreitender Leberzirrhose assoziierten Kachexie eine wesentliche Rolle spielen. Dies erklärt womöglich auch den negativen Zusammenhang auf die Erkrankungsprognose bei Patienten mit Testosteronmangel [
20].
Kontrollierte Studien zu Effekten einer Testosteronsubstitution bei Patienten mit Leberzirrhose sind rar. Wichtig ist festzuhalten, dass die verfügbaren Substanzen zur Testosteronsubstitution, also das intramuskulär zu injizierende Depotpräparat Testosteron undecanoat als auch das täglich zu applizierende Testosterongel, gemäß Zulassung und Beipacktext bei fortgeschrittener Lebererkrankung aufgrund eines möglichen Risikos der Häufung von Lebertumoren nicht empfohlen sind. Eine prospektive Studie aus Australien zeigte in einer kleinen Kohorte mit 50 Patienten pro Gruppe positive Effekte von Testosteron auf die Muskelmasse, die Fettmasse und die Knochendichte. Relevante Nebenwirkungen von Testosteron im Vergleich zur Kontrollgruppe wurden in dieser Studie nicht beobachtet. Als Limitation hervorzuheben ist jedoch das monozentrische Studiendesign mit kleiner Fallzahl an eingeschlossenen Patientinnen sowie insgesamt hoher Drop-out-Rate [
21]. Potenziell günstige Effekte auf weitere klinisch relevante Endpunkte sowie potenzielle Nebenwirkungen sollten zukünftig in größeren Studien evaluiert werden.
Bei Frauen gibt es ebenfalls Hinweise für einen protektiven Effekt von Östrogen, zumindest auf die Entwicklung der MASLD. Epidemiologische Studien zeigen niedrigere Raten von Fettlebererkrankung bei prämenopausalen Frauen im Vergleich zu gematchten Männern. Dieser protektive Effekt geht nach der Menopause mit steigendem Alter verloren. Auch tierexperimentelle Studien bestätigen diese kausalen Zusammenhänge. Ein positiver Effekt einer postmenopausalen Hormonersatztherapie auf den Leberenergiestoffwechsel ist jedoch bislang noch nicht belegt [
22].