Open Access 07.10.2024 | originalarbeit
Entwicklungen in der Katathym Imaginativen Psychotherapie unter besonderer Berücksichtigung neuerer körperbezogener Konzepte
Erschienen in: Psychotherapie Forum | Ausgabe 3-4/2024
Zusammenfassung
Nach einer kurzen allgemeinen Beschreibung der Katathym Imaginativen Psychotherapie nach H. C. Leuner werden neuere Entwicklungen in der Methode nachgezeichnet. Aufbauend auf verschiedenen Weiterentwicklungen allgemeiner psychodynamischer Konzepte im Bereich des therapeutischen Beziehungsverständnisses und der Bedeutung des Körpers in der frühen Selbstentwicklung sollen die Auswirkungen auf das Verständnis und die Behandlungstechnik in der Katathym imaginativen Psychotherapie dargestellt werden. Sowohl die Implikationen für das imaginative Geschehen selbst als auch für die Phasen der verbalen Nachbearbeitung der Imaginationen und des therapeutischen Gesprächs werden ausgeführt und anhand von entsprechenden methodenspezifischen Publikationen und Fallbeispielen dargestellt.
Die Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP) wurde 1955 von H. C. Leuner als tiefenpsychologisch orientiertes Therapieverfahren (vormals Katathymes Bilderleben) begründet. Nachdem mit der Entwicklung der Psychoanalyse die Bedeutung des Nachttraums und seine Beziehung zum Unbewussten deutlich geworden war, begann sich Leuner im Rahmen systematischer Untersuchungen mit der therapeutischen Tiefenwirkung von Imaginationen zu befassen. Daraus entstand ein eigenständiges Psychotherapieverfahren. Imaginationen werden in der KIP als bildhaft-symbolische Ausdrucksformen vorbewusster und unbewusster Inhalte verstanden und nehmen als solche im therapeutischen Geschehen einen zentralen Stellenwert ein. Wesentliche therapeutische Möglichkeiten in der Arbeit mit Imaginationen ergeben sich dadurch, dass diese nicht nur bildhaft strukturiert sind, sondern in ihnen sämtliche Sinne wie Hören, Tasten, Riechen, Schmecken mit den entsprechenden emotionalen Qualitäten erlebbar werden. Die dialogische Begleitung des Imaginationsgeschehens mit unterschiedlichsten Interventionstechniken ermöglicht unmittelbares therapeutisches Arbeiten im symbolisch primärprozesshaften Bereich. Die weitere Bearbeitung der Imaginationen auf einer bildnerischen Gestaltungsebene und Gesprächsebene folgt den Prinzipien der assoziativen Verknüpfungen, die zu einem tieferen Verständnis der symbolisch zum Ausdruck gebrachten und erlebten Inhalte führen.
Die Wirksamkeit der therapeutischen Arbeit mit Imaginationen wurde wiederholt evaluiert, zuletzt in einer von der ÖGATAP in Auftrag gegebenen Studie (Sell et al. 2018). Interessant für die KIP sind auch verschiedene neurowissenschaftliche Studien über die Auswirkungen vorgestellter, nicht konkret erlebter Wahrnehmungen auf mentale und kortikale Prozesse. So ging beispielsweise Hoshiyama et al. (2001) in einer Studie der Frage nach, was die alleinige Vorstellung des Klangs eines auf einen Amboss fallenden Hammers kortikal bewirkt. Er konnte feststellen, dass sich in Bezug auf die Aktivierung des auditiven Kortex kein signifikanter Unterschied zwischen realem und imaginativem Hören ergab. Auch der motorische Kortex kann imaginativ, ohne tatsächliche motorische Bewegung aktiviert werden (s. Haueisen und Knösche 2001). Ullmann (2012) schließt daraus für katathyme Imaginationen: „Hinsichtlich ihrer neuronalen Auswirkungen darf man wohl eine weitgehende Aquipotenz von imaginativ vorgestellter und konkret erlebter Realität unterstellen“ (S. 117). Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Weiterführungen von Pomberger-Kugler (2013).
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Schrieb Leuner (1989) anfänglich den Imaginationen noch eine starke eigenständige therapeutische Wirkung zu, die durch die Kraft symbolischer Prozesse im Rahmen therapeutisch begleiteter Imaginationen entsteht, hat sich zunehmend die Auffassung vom Primat der therapeutischen Beziehung mit ihrem komplexen Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehen als mächtigster Wirkfaktor der therapeutisch induzierten Veränderung herauskristallisiert. Die noch von Leuner mit der „Tauchermetapher“ beschriebene therapeutische Beziehung, in der der Therapeut auf dem Boot sitzt und mit seinem Patienten – der in die Tiefen seines Unbewussten allein abtaucht – über eine Art Telefon und einem Seil verbunden ist, wurde zuletzt von Brömmel (2023) grundlegend verändert. So bleibt in dieser Metapher der Therapeut heute nicht mehr „trocken“, sondern taucht auch unter und wird „nass“, das Boot kann gelegentlich gehörig ins Wanken kommen, bis vielleicht wieder beide Beteiligte im Boot sitzen und sich Gedanken machen. Diese weiterentwickelte Tauchermetapher bringt die intersubjektive Wende mit der grundlegenden Änderung der Konzeption der therapeutischen Beziehung zum Ausdruck. In der psychoanalytischen Theorienbildung ist das traditionelle hierarchische Beziehungsverständnis von wissender Therapeut:in und unwissender Patient:in mit der Entwicklung der relationalen Psychoanalyse (Mitchell 1988) und dem intersubjektiven Ansatz von der Vorstellung eines „therapeutischen Paares“ abgelöst worden, wo beide Teile gleichermaßen am Geschehen beteiligt sind. Dies ermöglicht einen Prozess auf der Ebene eines intersubjektiven Zusammenspiels, in dem Patient:in und Therapeut:in nach Verstehen und Veränderung suchen. Intersubjektivität fasst also die therapeutische Beziehung als zwischenmenschliche Begegnung von zwei Subjekten auf, die sich nicht nur auf der bewussten, sondern auch auf der unbewussten Ebene wechselseitig beeinflussen. Dementsprechend werden Übertragungsprozesse nun als dynamische Einheit von Übertragungen und Gegenübertragungen von beiden Beteiligten aufgefasst. Ermann (2021) spricht von einer kaum noch unterscheidbare Übertragungsmatrix. Dies spiegelt auch die Erkenntnisse der Säuglings- und Bindungsforschung wieder, die aufzeigen konnte, wie Selbst- und Interaktionsregulierung unauflösbar miteinander verschränkt sind. Dadurch wird auch ein Verständnis dafür geschaffen, wie früheste Beziehungserfahrungen im interaktionellen Feld der aktuellen therapeutischen Beziehung wiederbelebt und auf einer impliziten Ebene wirksam werden.
In der katathym imaginativen Psychotherapie, in der der kommunikative Austausch wesentlich von der bildhaft-symbolischen Ebene mitgetragen wird, hat sich der intersubjektive Paradigmenwechsel nicht nur auf der verbalen Ebene, sondern auch auf die Art der Motivfindung und der therapeutischen Begleitung der imaginativen Prozesse ausgewirkt. Die Motivwahl wird als komplexer intrapsychischer Verarbeitungsprozess der Therapeut:in verstanden, in welchem das aktuelle therapeutische Geschehen in ein bildhaftes Motiv mit Symbolcharakter verdichtet wird. Die durch diese Art der Motivvorgabe angeregte Imagination bezieht nicht nur intrapsychische, sondern auch damit eng verwobene intersubjektive Besonderheiten der gegenwärtigen Therapiesituation schon auf einer vorsprachlichen Ebene ein. Die Art der therapeutischen Begleitung beinhaltet und berücksichtigt in weiterer Folge das intersubjektive Wechselspiel und ermöglicht Zugänge zu sehr frühen Beziehungserfahrungen. Affektives Erleben, Triebbedürfnisse, Kontaktbedürfnisse aus frühesten Begegnungen werden so auf der imaginativen Ebene zugänglich und können durch eine differenzierte Bearbeitung weiterentwickelt und transformiert werden (s. J. Dieter 2023; Brunner-Karré 2020; Ullmann 2012; W. Dieter 2006).
Dazu ein Beispiel: Frau B., 35a alt, ist wegen ihres Bluthochdrucks in Psychotherapie. Sie ist eine Getriebene, wie sie selber meint: In ihrer Arbeitswelt im Finanzsektor arbeitet sie grundsätzlich zu viel, macht keine Pausen, ist überangepasst und kann sich von diesem Verhalten schwer distanzieren. Dies kennt sie auch aus anderen Lebensbereichen. Das große Kontrollbedürfnis, die hohe Leistungsbereitschaft, die erheblichen Über-Ich-Anforderungen haben sich auf der Basis von emotional eher vernachlässigenden, kaum Geborgenheit – dafür aber strenge Regeln gebenden frühen Beziehungserfahrungen entwickelt.
Als die Patientin wieder einmal ganz abgehetzt und außer Atem in die Therapie kommt und von ihrem stressigen Tag erzählt, kommt in mir ein großes Bedürfnis auf, ihr Ruhe zu ermöglichen und die vielen Anforderungen an sie einmal gut sein zu lassen. Mit der Motivvorgabe „Stellen Sie sich einmal vor, Sie lassen sich in einem See treiben“ leite ich eine Imagination ein. Spontan taucht bei der Patientin ein Gebirgssee auf, das Wasser ist sehr klar, man kann auf dem Grund Sand und Steine sehen. Frau B. ist bewegt von der Schönheit der Natur, es ist Sommer, der Himmel wolkenlos und sie schwimmt zuerst in dem See um sich dann auf den Rücken zu legen und treiben zu lassen. Das ist angenehm und ungewohnt. Der Körper spürt sich ganz leicht an, die Ohren sind unter Wasser und so hört man auch die Unterwassergeräusche. Sie fühlt sich ganz schwerelos. Im Körperinneren fühlt sie sich losgelöst, warm, leicht, mühelos. Alles fühlt sich angenehm an.
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Im emotionalen Nachschwingen dieser Imagination hebt sie besonders hervor, wie schön und besonders es ist, sich treiben zu lassen und trotzdem (sic!) ein sicheres Gefühl zu haben. Das tragende Element, das der Patientin von ihren früheren Beziehungspersonen nicht vertraut ist, stellt sich hier über die feinfühlige und resonante Begleitung der Imagination durch die Therapeutin ein. Dies ermöglicht einen Prozess der Verinnerlichung der aktuellen therapeutischen Beziehungserfahrung, die im Gegensatz zu fehlenden beruhigenden Erlebnissen der frühen Kindheit stehen. Dies fördert die Entwicklung der bisher nur ungenügend ausgebildeten Fähigkeit zur Selbstberuhigung und ermöglicht die damit einhergehende Verbesserung der Regulationsfähigkeit psychovegetativer Funktionen – immerhin leidet die Patientin unter Bluthochdruck.
Es waren besonders die Säuglingsforschung und der intersubjektive Paradigmenwechsel, die dazu beigetragen haben, die Bedeutung des Körperlichen in den frühkindlichen Beziehungen in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken (s. z. B. Leikert 2019; Lemma 2018; Plassmann 2022). Wie das Konzept des Embodiments (Leuzinger-Bohleber et al. 2013) aufzeigt, ist es von Anbeginn des Lebens der Körper, aus dem alles Seelische entsteht. Die Basis für die Entstehung einer Selbstrepräsentanz bildet beim Säugling das Körperbild, das sich im Rahmen des intersubjektiven Beziehungsgeflechts entwickelt. Hierbei spielt die affektive Resonanz der Bezugspersonen auf die psychosensorischen Lebenswelten des Säuglings eine wesentliche Rolle.
Diese frühen, hauptsächlich körperlichen, noch ganz im nicht-sprachlichen Bereich verankerten Interaktionserfahrungen können auch nicht im deklarativen Gedächtnissystem gespeichert werden, wie die Erkenntnisse der modernen Gedächtnisforschung zeigen. Vielmehr werden sie als prozedurale Erinnerungen im impliziten Gedächtnis als nicht sprachliche und daher nicht direkt zugängliche Inhalte verankert. Als solche sind sie nur über die psychosensorische Erlebnisebene und in Form von vorsprachlichen Interaktionsrepräsentanzen im szenischen Ausdruck zugänglich (s. Stern 1985). Das psychodynamische Verständnis, dem ja die Annahme eines dynamisch Unbewussten zugrunde liegt, muss daher um eine zusätzliche Ebene des Unbewussten erweitert werden, nämlich des „deskriptiv Unbewussten“ (Clyman 1991). Im deskriptiv Unbewussten abgespeicherte früheste (körperliche) Beziehungserfahrungen sind also nicht das Ergebnis einer Verarbeitung oder Abwehr. Vielmehr handelt es sich hierbei um Entsprechungen somatischer und sinnlicher Prozesse, die weder verbalisiert noch symbolisiert werden können. Leikert (2022) prägt in diesem Zusammenhang auch den Begriff des „körperlich Unbewussten“.
Wie im oben dargestellten Fallbeispiel aufgezeigt wurde, wird durch die Motivvorgabe die imaginative Ausgestaltung der Problematik der Patientin (die Angst loszulassen und die aus einem übermäßigen Kontrollbedürfnis entstehende Dauerspannung aufrechthalten zu müssen) angeregt. Die Thematik wird auf der katathym (= emotionsgeleitet)-imaginativen Ebene in seiner gesamten psychosenorisch-emotionalen Verschränkung zugänglich und erlebbar. Für die Patientin wie auch die Therapeutin wird unmittelbar auf einer impliziten Ebene spürbar, in welch großer Abhängigkeit das Gefühl loslassen zu können von einer haltgebenden Beziehung steht. Die nachfolgende zeichnerische und verbale Bearbeitung bleibt noch über eine geraume Zeit im psychosensorischen Feld verankert mit dem Bestreben, dieses Geschehen allmählich in Worte zu fassen und damit zu symbolisieren.
Das emotionale Erleben spielt in der KIP eine zentrale Rolle. Es ist aufs Engste mit dem sinnlichen Bereich der ästhetischen Wahrnehmung verwoben und kann durch die Technik der differenzierten Sinneswahrnehmung und der interozeptiven Körperwahrnehmung im imaginativen Geschehen zugänglich werden (s. z. B. Wilke 2000; Schnell 2012).
Plassmann (2022) führt mit seinen Überlegungen zur kommunikativen und steuernden Funktion von Emotionen zu einem vertieften Verständnis und bringt den Reifungsprozess und die Entwicklung eines kohärenten Selbsterlebens in enge Verbindung mit der Entwicklung der Emotionsregulation. Im interaktionellen Feld mit den Bezugspersonen übernehmen schon von Geburt an basale, noch ganz körperlich erlebte Emotionen regulatorische und kommunikative Aufgaben. Damit sich diese „Protoemotionen“ zu komplexeren symbolischen und sozialen Emotionen transformieren können, bedarf es der feinfühligen und empathischen Präsenz und Resonanz der Beziehungspersonen. Andernfalls bleiben die Emotionen im Körper verhaftet und können zu einem „Riss im Selbst“ führen (Plassmann 2022). Das kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht nur psychische Beeinträchtigungen bedingen, wie wir sie bei allen strukturell beeinträchtigen Psychopathologien finden, sondern auch die Grundlage für psychosomatische Symptome bilden: Die überfordernde Aufgabe der Emotionsregulation bleibt im Körper verhaftet, die er schlimmstenfalls nicht leisten kann.
In ähnlicher Weise spricht Leikert (2022) von „verkapselten Körperengrammen“ und bezeichnet damit unverarbeitete Konfigurationen im Körperselbst, die von jeder Form der Symbolisierung, Bildlichkeit, Deutbarkeit und Sprache ausgeschlossen sind. Vielmehr werden sie als Fremdkörper im eigenen Körperselbst erlebt, ohne Kontakt zum umgebenden lebendigen Körpergefühl.
Bei der Entwicklung der KIP hat Leuner von Anbeginn an die enge Verwobenheit von katathym erlebten Bildern mit dem emotionalen und körperlichen Erleben im Auge gehabt. So hat er schon früh entdeckt, dass durch die Interventionstechnik der Anregung zur „differenzierten Sinneswahrnehmung“ über die Fokussierung auf sinnliche Wahrnehmungsprozesse unmittelbare Zugangskanäle zum emotionalen Erleben ermöglicht werden. Es zeigte sich aber erst mit den Weiterentwicklungen im Bereich der frühen, körperlich und präverbal verankerten Beziehungserfahrungen, welch weitreichende und vertiefende Möglichkeiten das katathyme Erleben auch im Bereich des Körpererlebens bereithält und wie dieses von implizit abgespeicherten Beziehungserfahrungen durchdrungen ist (s. Hauler 2019; Reichmann 2017; Pichler 2017).
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Auch Leikert (2022) beschäftigt sich mit der Möglichkeit, frühe Erlebnisformen in den therapeutischen Prozess einzubeziehen, indem die Aufmerksamkeit auch auf die propriozeptive und interozeptive Wahrnehmung bei Patient:in und Therapeut:in selbst gerichtet und in den Vordergrund gerückt wird. Im Rahmen des intersubjektiven Geschehens werden so auf einer körperlich-sinnlichen Erlebnisebene Zugänge zu unbewussten Zuständen möglich, die auf einer direkten verbalen Ebene nicht erfahrbar wären.
Auf der imaginativen Ebene der KIP wird die Proprio- und Interozeption wesentlich durch die Anregung zum Erleben mit allen Sinnen und über die Fokussierung auf die leibliche Wahrnehmungsebene zugänglich gemacht. Folgender Auszug aus einer Imagination der 54-jährigen Frau W. soll dies veranschaulichen:
Die Patientin leidet schon seit geraumer Zeit an einer Neurodermitis und kommt mit heftig auftretendem Juckreiz in die Therapiestunde. Nach einer kurzen Schilderung des Juckreizes, wo er sich aktuell am Körper bemerkbar macht, wann er stärker wird, wie er sich anspürt, wird das Leiden der Patientin und ihr Sehnen nach Linderung stark spürbar.
Die Motivvorgabe „Stellen Sie sich eine Heilquelle vor“ regt folgende Imagination an:
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P:
Ich bin im Wald, da sind so bemooste Steine – Da ist so eine sprudelnde Quelle
Th:
Die sprudelt? Wie hört sich das denn an?
P:
(Langsam, leise) Wie so gurgelnd, murmelnd, …
Th:
Wie ist denn das Wasser?
P:
Weich, kühl.
Th:
Ah, können Sie es spüren?
P:
Ja, ich habe die Hand reingehalten.
Th:
Wie spürt sich das denn auf der Haut an?
P:
Frisch aber auch weich … da ist auch Moos.
Th:
Und wie ist das Moos?
P:
(Fast singend) Grün und weich und feucht.
T:
Das heißt, Sie können es angreifen?
P:
Na sicher, ich fahre da mit beiden Händen so drüber.
Th:
Ah, wie ist denn das?
P:
Das gibt so nach. So wie ein Polster. Ein richtiges Moospolster ist das … jetzt trinke ich von dem Wasser –
Th:
Ja wie schmeckt denn das?
P:
Total erfrischend, im ganzen Körper spür ich das. Also das breitet sich so richtig aus, von der Speiseröhre in den Magen und das wirkt dann irgendwie im ganzen Körper. Am liebsten würde ich mich als Ganzes in das Wasser legen –
Th:
Wollen Sie es probieren?
P:
(Lacht) … ein Verjüngungsbrunnen. Ich bin zu groß, um mich als Ganzes reinzulegen, aber ich rolle mich so zusammen, dann geht es sich gerade aus, dass ich da drin Platz finde.
Th:
Wo spüren Sie denn jetzt das Wasser?
P:
Überall auf der Haut, das prickelt jetzt und ich liege auf der linken Seite und spüre auch den Boden –
Th:
Ja wie ist denn das?
P:
Der spürt sich eigentlich recht Halt gebend an, aber angenehm weich, also der ist nicht so weich, dass man versinkt, ganz stabil.
Die Therapeutin schwingt sich in der Begleitung dieser Imagination ganz auf das basale Erleben der Patientin ein und kann somit in ihrer Gegenwärtigkeit und empathischen Präsenz eine unmittelbare Wirksamkeit ermöglichen. Auf der Ebene der Imagination wird also implizit das Bedürfnis dargestellt und durch die therapeutische Begleitung einer besseren Regulierung zugeführt.
Nicht unschwer lassen sich in dieser Imagination auch die Qualitäten frühester Beziehungserfahrungen erkennen, die mit dem Wunsch nach Versorgung, Fürsorge, Beschützt- und Gehaltenwerden in Zusammenhang stehen. Die von Anzieu (2016 [1991]) so eindrückliche dargestellte Funktion der Haut als Behälter, als Körpergrenze und als Kommunikationsmittel im frühkindlichen Beziehungsgeschehen kann anhand dieser Imagination gut nachvollzogen werden.
Eine Erweiterung der Technik der differenzierten Sinneswahrung bezieht sich auf die Fokussierung auf die propriozeptive Wahrnehmung des Körperlichen. Körperbezogene Intervention haben hier grundsätzlich zum Ziel, den inneren Kontakt mit dem „erfahrbaren Leib“ zu ermöglichen und zu fördern (s. Wilke 2000). Dadurch dass der Imaginationsprozess durch eine initiale Entspannungsvorgabe eingeleitet wird, wird schon auf der körperlichen Ebene ein wohlmeinendes, fürsorgliches Beziehungsangebot geschaffen (Pötz 2008), das durch die Fokussierung der Wahrnehmung auf sinnliche und körperliche Prozesse wie Atemmuster, Körperhaltungen, Bewegungsimpulse und Bewegungen, Gebärden, Muskelspannungen, den Klang der Stimme, das Sprechtempo, die Mimik oder auf das Erleben von Körperoberfläche und Körpergrenzen imaginativ erlebbar und zugleich vertieft wird. Das kann besonders auch bei Begegnungen mit Symbolgestalten oder deren oft nur atmosphärisch oder sinnlich-körperlich abgelagerten Entsprechungen von großer Intensität und Bedeutung sein.
Auch das Nachbearbeiten dieser Imaginationen auf einer kreativen, noch nicht mit Bedeutung angereicherten Ebene durch das Malen der Imaginationen regt die sinnliche Ausgestaltung und Wahrnehmung weiter an. Das körperlich Unbewusste kann sich bildhaft weiter differenzieren, die Emotionen auf einer symbolischen Ebene erweitern und so wird eine allmähliche Transformation und Integration hergestellt.
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Diese therapeutischen Möglichkeiten im Rahmen des katathymen Bild-Erlebens werden von Bucci’s Multiple Code Theory (Bucci 1997) untermauert. In dieser beschreibt sie, dass es grundsätzlich 3 Wahrnehmungscodes gibt: Vorsymbolisch körperliche Codes (Körperwahrnehmungen), symbolisch-nonverbale Codes (in Form von Bildern) und symbolisch verbale Codes (Worte). Für die KIP bedeutsam ist, dass Bucci der bildhaften Wahrnehmung eine wesentliche Brückenfunktion zwischen vorsymbolisch-körperlichem Erleben und der symbolisch-verbalen Ebene zuschreibt. In einer computergestützten Inhaltsanalyse konnten Stigler und Pokorny (2000) eben diese vermittelnde Eigenschaft katathymer Imaginationen zwischen subsymbolisch-körperlichen und symbolisch-verbalen Codes nachweisen. Verkapselte Beta-Engramme (Leikert) oder ein „Riss im Selbst“ (Plassmann), im Sinne ausschließlich körperlich abgeschotteter, unverarbeiteter und überfordernder Emotionen können demnach mit der KIP auf der bildhaften Wahrnehmungsebene zugänglich und allmählich besprechbar gemacht werden.
Auch auf der verbalen Ebene, die integrativer Bestandteil der Methode ist, ist es im Bereich der frühen präverbalen Interaktionsformen wesentlich, sich auf die implizite Kommunikation mit den Patient:innen einzulassen (Doering 2022). Die Nachbesprechungen der Imaginationen gestalten sich dann eher in Form eines Nachsinnens der imaginierten Inhalte als eines Bedeutung Gebens.
Herr G., ein ängstlich vermeidender Patient will in der Folgestunde nach einer Imagination die Zeichnung, die er zu Hause zur Imagination angefertigt hatte nicht zeigen. Die Imagination selbst und das Zeichnen habe ihn noch sehr beunruhigt und aufgeregt. Auf die Frage, wo er denn diese Beunruhigung im Körper wahrgenommen habe, beginnt er diese unmittelbar zu spüren und zeigt auf seinen Brustkorb. Auf Anregung beschreibt er ein Gefühl der Enge, Herzklopfen, Angst. Diese Angst kenne er, meint er und kann sie zunehmend mit der Angst in Verbindung bringen, nicht zu entsprechen und dadurch abgewiesen zu werden. Diese Benennung führt zu einer unmittelbaren Entlastung von der Angst.
Die Einbeziehung des Körpererlebens und von Körperassoziationen ist auch auf der verbalen Ebene ganz wesentlich, um eine sprachlich-kinästhetische Ganzheit her zu stellen (s. Schultz-Venrath 2021). Und ebenfalls birgt das Aufgreifen von enactments, die auf einer präverbal psychosensorischen Ebene den Zugang zu bislang blockierten seelischen Wachstumsvorgängen ermöglichen, viel Potenzial (Plassmann 2022). In der KIP können in einem Prozess der therapeutischen Verarbeitung diese „Gegenwartsmomente“ wieder in ein Motiv für eine Imagination umgewandelt und so auf der bildhaften Ebene weiterbearbeitet werden.
In der psychoanalytischen Theorienbildung hat sich nicht nur mit der Intersubjektivitätstheorie ein Paradigmenwechsel im Verständnis der therapeutischen Beziehung vollzogen. Auch früheste vorsprachlich unbewusste, im impliziten Gedächtnis gespeicherte Erfahrungen finden nun in psychodynamischen Konzeptionen ihren Niederschlag. Dabei spielt auch die Einbeziehung des körperlichen Erlebens und seine grundsätzliche Bedeutung für eine kohärente Selbstentwicklung eine grundlegende Rolle. Diese psychodynamischen Weiterentwicklungen machen eine besondere Wirkungsweise der KIP deutlich, die in der Technik der differenzierten Sinnes- und Körperwahrnehmung und diverser körperbezogener Interventionstechniken besteht. Untermauert werden diese mit unterschiedlichen Studien zur Wirksamkeit.
M. Pichler gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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