Die Verbindung von Existenzanalyse und Logotherapie und OPD ist komplex. Paul Polak fasste das Verhältnis von Psychoanalyse/Individualpsychologie und Existenzanalyse als „dialektische Negation“ (Polak
1949, S. 5). Viktor Frankl begründete die EALT als „am Geistigen orientierte Psychotherapie“ (Frankl
2005, S. 172) und sah sie zumindest anfänglich sowohl in Opposition als auch in Ergänzung zu den genannten Therapierichtungen.
Frankl re-konzeptualisiert Freuds Strukturmodell der Psyche (Es, Ich, Überich; Freud
2000, S. 275 ff.) als ein zeitlich strukturiertes Entwicklungs- und Handlungsmodell. Das Überich wird als das
noch zu verwirklichende Ich bestimmt, das Es als
entwirklichtes Ich, als Sedimentierung von Ich-haften Entscheidungen (Frankl
2005, S. 143). Dadurch wird das Ich, als geistige Person, die auf Sinn- und Wertpotenziale bezogen ist, aufgewertet. Frankl begründet das Ich relational-ontologisch (Frankl
2005, S. 183 ff.), wobei erst die geistig-noetische Dimension relative Freiheit gegenüber dem Psychophysikum ermöglicht (Frankl
2015, S. 51 ff.). Das Selbst wird als fakultativ konzeptualisiert, es integriert alle Lebenserfahrungen sowie Sinnerfüllungsmöglichkeiten des handelnden Ich (Frankl
2005, S. 169). Im Gegensatz zur daseinsanalytischen Kernthematik der „existenzialen Angst“ (Holzhey
2022, S. 29) rücken existentielles Leid und die Ausrichtung auf Sinn(potentiale) in den Fokus. Mit Blick auf Struktur, die als „Grundgerüst der Persönlichkeit“ (Arbeitskreis OPD
2023, S. 183) verstanden wird, betont Frankl die hereditäre Komponente der Strukturgenese und eine damit einhergehende „konstitutionelle Psycholabilität“ (Thir
in Vorbereitung). Er konzeptualisiert Charakter eigenständig, tritt aber explizit für die Auseinandersetzung mit der „Charaktergrundstruktur“ in Form „existentieller Umstellung“ ein (ebd.). Die EALT versteht sich als
entdeckende und nicht als
aufdeckende Psychotherapie, die auf den Umgang mit Erkrankung und Leid fokussiert (Frankl
2005, S. 101; Lukas
2014, S. 99). Diagnostische Spezifika sind die Bezugnahme auf die geistig-noetische Dimension oder die Ressourcendiagnostik (Wiesmeyr
2005, S. 94 ff.). Die Strukturachse der OPD findet noch keine standardisierte Anwendung (Wiesmeyr
2005,
2022), zentrale Anknüpfungspunkte zur OPD können aber anhand der Zielrichtungen struktureller Funktionen (Rudolf
2019, S. 7) identifiziert werden:
-
Differenzieren: Die Wechseldiagnostik ermöglicht ein diagnostisches Oszillieren zwischen patho- und salutogenetischer Sichtweise (Lukas
2014, S. 153; Wiesmeyr
2022, S. 270) unter Einbeziehung einer differenzierten Ätiologie.
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Integrieren: Sinn- und Wertbezüge sind zentral für das Ausbilden eines positiven Selbstbildes und einer stabilen Identität (Arbeitskreis OPD
2023, S. 162, S. 193).
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Regulieren: Affektregulation ist bedeutend für das Funktionieren des noo-psychischen Antagonismus (Frankl
2015, S. 134 f.; Wiesmeyr
2022, S. 164 f.).
Hinsichtlich der
Abwehr als zentraler Ich-Funktion (Arbeitskreis OPD
2023, S. 194) bezieht die EALT auch geistige Phänomene mit ein, wie Transzendenzbezüge, die Resilienz fördern können (Frankl
2005, S. 233). Bei der Umsetzung der Strukturdiagnostik empfiehlt die OPD (Arbeitskreis OPD
2023, S. 275 f.) eine
nicht aufdeckende Arbeitsweise. Die/Der Therapeut:in zeigt sich als „personales Gegenüber“ (ebd., S. 274), das stützend und wohlwollend agiert. Dies ähnelt der logotherapeutischen Vorgehensweise, die durch eine aktive therapeutische Haltung, handlungsorientierte Interventionen und einen Fokus auf Ressourcen gekennzeichnet ist. Eine Synthese aus EALT-Diagnostik und OPD im Sinne einer Überwindung des erwähnten dialektischen Spannungsverhältnisses zwischen den unterschiedlichen therapeutischen Traditionslinien scheint möglich, muss aber noch geleistet werden. Positiv hervorgehoben werden aus Sicht der EALT das mit der OPD erreichte schulenübergreifende Reflexionsniveau, die Strukturdiagnostik als möglichem integralem Bestandteil der Behandlung(splanung) sowie der diagnostisch-hermeneutische Wert der OPD in Bezug auf interaktionsbasierte Schädigungen.