Die deutsche Ärztin Rita Schiffer hat ein Krankenhaus in Äthiopien zu einem Zentrum für Hochrisikoschwangere gemacht. Möglich ist das durch Spenden, auch aus Österreich.
Gynäkologin Rita Schiffer führt eine Ultraschall-Untersuchung bei einer Schwangeren durch.
EKFS/Simone Utler
Vor 27 Jahren kam Rita Schiffer nach Äthiopien. Die heute 67-jährige Gynäkologin und Ordensfrau wurde von den Missionsärztlichen Schwestern (MMS) in eine der ärmsten Regionen des ostafrikanischen Landes entsandt. Sie sollte ein kleines Spital leiten, das 1969 von der Tiroler Ärztin Dr. Anna Dengel (MMS) gegründet worden war. Südwestlich der Hauptstadt Addis Abeba bot das Attat Hospital damals die einzige medizinische Versorgung im Umkreis von 200 Kilometern.
Heute behandelt das Spital mehr als 110.000 ambulante und stationäre Patienten im Jahr und ist eine renommierte Anlaufstelle für Hochrisikoschwangere. Medizinische Leiterin ist nach wie vor Schwester Rita.
Die Ärzte Woche hat mit ihr über die Arbeit in Attat, wichtige Ausbildungsprogramme und das äthiopische Gesundheitssystem gesprochen.
Ärzte Woche: Wie stelle ich mir ein Spital im ländlichen Äthiopien vor?
Dr. Rita Schiffer: Das Attat Hospital besteht seit 55 Jahren. Es begann im Nirgendwo, mit ein paar Matten auf dem Boden, und betreut heute 300 Patientinnen und Patienten pro Tag. Attat ist als Primary Hospital eine Primärversorgungseinrichtung. Wir führen zudem Notfallchirurgie durch und haben, weil ich Gynäkologin bin, einen starken gynäkologischen Akzent. Wir sind zentraler Anlaufpunkt für Hochrisikoschwangere und bieten elektive gynäkologische Operationen an.
Gynäkologin Schiffer vor ihrem Lebenswerk. Die Patienten zahlen, eine Krankenversicherung gibt es in Äthiopien nicht.
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Ärzte Woche: Wie hat sich das Angebot über die Jahre entwickelt?
Schwester Rita: Am Anfang gab es nur Primärversorgung und Prävention. Die Schwestern begannen auf dem freien Feld mit Impfungen und Gesundheitsaufklärung. Diese Arbeit ist nach wie vor enorm wichtig. Durch Frauengruppen, Müttervorsorge, Impfungen und Wasserprojekte haben wir in den vergangenen Jahrzehnten mehr Krankheiten verhindert, als wir kuriert haben.
Ärzte Woche: Wie viele Mitarbeitende beschäftigt das Hospital?
Schwester Rita: Wir sind 200 Leute, ich bin die einzige Nicht-Äthiopierin. Von Anfang an haben wir darauf hingearbeitet, die medizinische Versorgung in Attat in äthiopische Hände zu legen. Zunächst stand, wie erwähnt, Prävention im Vordergrund. Als der Anspruch stieg und wir mehr qualifizierte Mitarbeiter brauchten, legten wir einen weiteren Schwerpunkt auf Ausbildung. Besonders in der Notfallchirurgie haben wir uns stark engagiert, weil die in Äthiopien dringend gebraucht wird.
Ärzte Woche: Wie betreuen Sie Hochrisikoschwangere – und wie gelangen sie zu Ihnen?
Schwester Rita: Früher waren wir weit und breit der einzige Anlaufpunkt für diese Frauen. Gott sei Dank ist in den letzten Jahren das äthiopische Gesundheitssystem gewachsen. Es gibt heute ein Netzwerk aus kleineren Kliniken, sogenannten „Health Centers“, die dorfnah Müttervorsorge anbieten. Frauen, die vermutlich eine komplizierte Geburt haben werden, werden wegen unserer Expertise nach Attat überwiesen.
Ärzte Woche: Was passiert bei Ihnen?
Schwester Rita: Wir haben ein sogenanntes Wartehaus für Risikomütter. Gegen Ende der Schwangerschaft kommen die Frauen zu uns, bekommen ein Bett und eine Decke und leben nur zwei Minuten vom Kreißsaal entfernt. Das Angebot bleibt durch die Mütter selbst im Gespräch und ist weithin bekannt. Vor rund 15 Jahren hat es die äthiopische Regierung als Regierungsprogramm etabliert, das auch andere Krankenhäuser umsetzen.
Ärzte Woche: Sie führen im Jahr 900 Kaiserschnitte durch. Wie läuft das ab?
Schwester Rita: Wir haben drei OPs, einer ist für Kaiserschnitte reserviert und nur eine Minute vom Kreißsaal entfernt. Anästhesiepfleger übernehmen die Anästhesie, und wir haben sehr erfahrene OP-Schwestern und -Pfleger. Insgesamt können fünf Leute Kaiserschnitte durchführen: ich, unser äthiopischer Chirurg und drei sogenannte Integrated Emergency Surgical Officers.
Ärzte Woche: Können Sie das erklären?
Schwester Rita: Es handelt sich um Health Officers, höher qualifizierte Krankenpfleger mit einer insgesamt elf Jahre dauernden speziellen Ausbildung. Dieses Programm haben wir aktiv unterstützt und 81 Menschen geschult. Unsere drei Emergency Surgical Officers sind unser Rückgrat. Auch wenn ich weg bin, läuft die Chirurgie in Attat reibungslos. Früher haben mich Chef- oder Oberärzte aus Deutschland während eines Heimaturlaubs vertreten. In den letzten neun Jahren hatten wir genug ausgebildetes äthiopisches Personal, dass ich keine Ausländer mehr einfliegen musste.
Ärzte Woche: Welche Ausbildungsprogramme unterstützt Attat noch?
Schwester Rita: Derzeit läuft eine Pilotstudie, bei der Hebammen in Addis Abeba ein Masterstudium absolvieren und dabei lernen, Kaiserschnitte durchzuführen. Wenn ein peripheres Health Center Kaiserschnitte machen kann, ist für Frauen viel gewonnen. Es geht dabei nicht darum, in Konkurrenz zu Fachärzten zu treten. Die gibt es in der Peripherie nicht. Während der ersten Ausbildungsrunde waren vier Hebammen über zwei Jahre bei uns. Sie gingen im September in die Praxis. Jetzt wird bewertet, wie oft sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten anwenden oder wie hoch die Komplikationsrate ist.
Ärzte Woche: Zahlen die Patienten für ihre Behandlung im Hospital?
Schwester Rita: Ja, grundsätzlich haben wir nur Privatpatienten. Krankenversicherungen gibt es in Äthiopien nicht bzw. nur in kleinen Pilotregionen. Bezahlt wird ein gestaffelter Beitrag, abhängig vom Einkommen und der jeweiligen Behandlung. Bei Notfällen können die Patienten Antibiotika oder Infusionen später zahlen, was meist funktioniert. Auf nicht akute, elektive Operationen, wie Prostata-, Schilddrüsen-OPs oder Gebärmutterentfernungen, sparen die Menschen. Insgesamt deckt die Bevölkerung aber erst ein Drittel der Kosten, der Rest kommt von außen: durch Stiftungen, unseren Wohltäterkreis, die Kirche oder die Eine Welt-Gruppe, die für uns sehr wichtig ist.
Ärzte Woche: Was ermöglicht diese Hilfe?
Schwester Rita: Sie stellt sicher, dass wir niemanden abweisen müssen, etwa wenn ein Kind an Malaria erkrankt, der Vater weit weg arbeitet und die Mutter nicht genug Bargeld hat. Das ist möglich, weil in Europa Leute teilen und sich freuen, helfen zu können. Die Spenden erlauben uns zudem, Material auch dann zu kaufen, wenn es am Markt knapp und dadurch teurer ist.
Geburtenstation in Attat. Kurz vor der Geburt kommen Frauen in ein Wartehaus für Risikomütter.
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Ärzte Woche: Sie haben erwähnt, dass sich das staatliche äthiopische Gesundheitssystem in den letzten Jahren verbessert hat.
Schwester Rita: Es wächst. Heute gibt es in unserer Nähe weitere Primary Hospitals und Health Centers. Und es gibt Krankenwagen. Die machen einen enormen Unterschied bei der Mütter- und Kindersterblichkeit.
Ärzte Woche: Wie läuft die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen?
Schwester Rita: Sehr, sehr gut. Wir sind gut eingebunden ins System. Zehn Kilometer von Attat entfernt gibt es zum Beispiel seit einiger Zeit ein Universitätskrankenhaus. Dorthin können wir Unfallopfer mit komplizierten Brüchen jetzt überweisen. Es ist eine große Entlastung, nicht mehr die einzige Anlaufstelle zu sein.
Ärzte Woche: Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Schwester Rita: Unsere Zukunft liegt darin, Kooperationen mit staatlichen Einrichtungen auszubauen. In Äthiopien ist es ein Auf und Ab. Mal geht es aufwärts, dann bricht irgendwo ein Krieg aus. Insgesamt geht es aber trotz aller Rückschläge bergauf. Wo man das sicher sagen kann, ist beim Personal. Äthiopien hat eine sehr junge Bevölkerung mit viel Talent. Die Herausforderung ist, deren Ausbildung gut zu organisieren.
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