Die Entwicklung der Kontrolle über die Ausscheidungsorgane ist ein komplexer Prozess, der bereits beim Fetus im Mutterleib beginnt. Er setzt sich postnatal fort und ist gekennzeichnet durch eine enge interaktionelle Verknüpfung zwischen den Ausscheidungsorganen und dem zentralen Nervensystem (ZNS), die zahlreichen intrinsischen und extrinsischen Einflussfaktoren unterliegt.
Das Wissen über die Rolle des ZNS erweiterte sich durch die funktionelle Bildgebung erheblich. Eine blasenzentrierte Sichtweise wird der Komplexität der Prozesse nicht mehr gerecht, vielmehr ist ein integriertes Entwicklungsmodell angemessen, mit dem neben körperlichen auch psychische und soziale Einfluss- und Störfaktoren erklärt werden können – im Sinne des „bladder–brain dialogue.“ Aus einer solchen systemischen Sichtweise ergeben sich ein besseres Verständnis missglückter Kontinenzentwicklung – also der funktionellen Harninkontinenz – und Konsequenzen für Diagnostik und Therapie.
Die moderne Epidemiologie zeigt, dass etwa 70 % der Kinder Kontinenz in normaler Weise entwickeln. Die übrigen Kinder werden entweder verspätet kontinent oder weisen eine der Formen der funktionellen Harninkontinenz auf. Diese werden gemäß der Klassifikation der ICCS („International Children’s Continence Society“) nach vorwiegend klinischen Kriterien eingeteilt. Essenziell sind die Berücksichtigung von Komorbiditäten und ein nichtinvasiver Ansatz der Diagnostik.
Kontinenzentwicklung kann je nach Art der Sauberkeitserziehung auch ganz anders ablaufen, wie beispielhaft Studien aus Vietnam zeigen. Es scheint keine allgemeingültige Norm zu geben, sondern eine starke Kulturabhängigkeit des Zeitpunkts, wann ein Kind „trocken“ sein soll.