Open Access 18.09.2024 | Kinder- und Jugendgynäkologie | Die Mädchensprechstunde
Geschlechtliche Vielfalt in der gynäkologischen Betreuung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Erschienen in: Gynäkologie in der Praxis | Ausgabe 3/2024
Nicht alle Personen, die eine gynäkologische Gesundheitsversorgung benötigen, sind Mädchen oder Frauen. Bis zu 8,4 % der Kinder und Jugendlichen und bis zu 4,5 % der Erwachsenen identifizieren sich nicht oder nur bedingt mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht [1].
Eine große Gruppe dieser Personen mit gynäkologischen Gesundheitsbedürfnissen sind trans1 Männer, Personen, denen bei Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde, die sich jedoch als Mann identifizieren, und nichtbinäre Personen, die sich weder mit einem männlichen noch mit einem weiblichen Geschlecht identifizieren.
Anzeige
Auf der Suche nach medizinischen Dienstleistungen im Allgemeinen erleben trans Personen strukturelle Diskriminierung und viele Barrieren, die den Zugang zu notwendigen Gesundheitsdienstleistungen erschweren [2‐4] – das gilt auch in Österreich [5, 6]. Geht es um gynäkologische oder urologische Belange, ist die Situation oft nochmals verschärft: Der Besuch einer gynäkologischen Ordination ist für viele trans Personen eine angstbehaftete, belastende und potenziell (re-)traumatisierende Situation [7]. Grund dafür sind meist unzureichendes Wissen und eine mangelnde Akkommodierungsbereitschaft der im medizinischen Bereich arbeitenden Personen für einen sensiblen Umgang mit dieser Patient*innenpopulation [8‐10].
Damit sich Personen mit diversen Geschlechtsidentitäten in einer Praxis wohl und sicher fühlen, sollten sämtliche Mitarbeiter*innen über ein Grundwissen zu geschlechtlicher Vielfalt, Geschlechtsidentitäten, Ansprache und Pronomen verfügen und dieses auch anwenden. Wichtig ist das Bewusstsein dafür, dass vom äußeren Erscheinungsbild eines Menschen und dem offiziellen Personenstand keine sicheren Rückschlüsse über die Geschlechtsidentität, Anatomie oder sexuelle Orientierung einer Person gezogen werden können [11‐13].
Wenn eine gynäkologische Praxis Menschen mit diversen Geschlechtsidentitäten (und sexuellen Orientierungen) diskriminierungsfrei betreut, sollte dies auch auf Webseiten, Broschüren und Aushängen in der Praxis kenntlich gemacht werden. Beim Erstaufnahmebogen sollte nach präferiertem Namen, Ansprache und Geschlechtsidentität gefragt werden [7, 12‐14]. Personen im Wartezimmer sind demnach nur dann mit „Frau“ aufzurufen, wenn sie dies auch so am Bogen vermerkt haben. Außerdem sollte es auch Personen mit männlichem Personenstand problemlos möglich sein, einen gynäkologischen Untersuchungstermin zu vereinbaren.
Gynäkologische Bedürfnisse von geschlechtsdiversen Personen sind ebenso vielfältig wie jene von cisgender Frauen und inkludieren unter anderem Vorsorgeuntersuchungen, wie z. B. HPV-Screenings oder Mammographien (sofern Brustdrüsengewebe vorhanden ist), Beratung hinsichtlich Verhütung und Menstruationsunterdrückung, STI-Screenings und -Prävention sowie Fertilität und Reproduktion. Zusätzlich sollte auch über ein Grundwissen zu geschlechtsaffirmativen medizinischen Maßnahmen, wie z. B. einer maskulinisierenden Testosterontherapie oder geschlechtsaffirmativen Operationsmöglichkeiten, verfügt werden [7, 12].
Anzeige
Viele geschlechtsdiverse Personen mit Uterus haben eine starke menstruationsbezogene Dysphorie, also einen hohen Leidensdruck durch das Auftreten von Monatsblutungen [15‐17]. Bei trans Jugendlichen sind es bis zu 93 %. Eine menstruationsunterdrückende Therapie kann diesen Leidensdruck deutlich mindern und ist niederschwelliger zu erlangen als eine geschlechtsaffirmative Hormontherapie [15]. Bevorzugt werden hierbei reine Gestagenpräparate, per os, als Depot oder in manchen Fällen auch als IUD [16, 18].
Wenn Patient*innen eine geschlechtsaffirmative Hormontherapie erhalten, ist diese meist ausreichend, um eine Amenorrhö zu erzielen. Unter laufender Hormontherapie mit Testosteron kommt es meist innerhalb des ersten Therapiejahrs zur Amenorrhö. Werden GnRH-Analoga eingesetzt, wird die Blutungsfreiheit meist noch schneller erzielt [19, 20].
Durchbruchsblutungen unter Testosteronmonotherapie sind jedoch möglich [21]. Eine geschlechtsaffirmative Testosterontherapie stellt jedoch als Monotherapie keinen ausreichenden Verhütungsschutz dar – auch wenn die Person amenorrhoisch ist. Eine sensible Beratung hinsichtlich Kontrazeptionsmöglichkeiten zur Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft gehört zu den Aufgaben der behandelnden Gynäkolog*innen [22‐24]. Besteht ein Kinderwunsch, ist außerdem Wissen über Möglichkeiten der natürlichen und assistierten Reproduktion und den Einfluss einer Hormontherapie auf die Fruchtbarkeit nötig [25].
Vor und während gynäkologischer Untersuchungen ist es wichtig, Abläufe detailliert zu erklären und zu erfragen, welche Worte für Körperteile verwendet werden sollen (statt „Muttermund“ und „Gebärmutter“ z. B. „Portio“ und „Uterus“). Es gilt, die Bedürfnisse, Ängste und Grenzen von Patient*innen wahrzunehmen und zu respektieren, ggf. auch durch Pausen oder Abbruch der Untersuchung. Falls möglich können auch Untersuchungsmodalitäten angepasst werden (z. B. eine Ultraschalluntersuchung transabdominal durchführen statt transvaginal oder das Angebot eines Selbstabstrichs etc.; [7, 12, 14]). Unter einer geschlechtsaffirmativen Testosterontherapie kommt es meist zu einer Atrophie der Vaginalschleimhaut, die die Verwendung von kleinen Spekula und ausreichend Gleitmittel nötig macht [7, 12]. Auch die Ergebnisse von PAP-Abstrichen können durch eine Testosterontherapie beeinflusst werden: Es kommt zu einem vermehrten Auftreten gewisser nichtneoplastischer Zellveränderungen, wie einer Atrophie der Plattenepithelzellen der Zervix und einer Metaplasie der Übergangszellen [26, 27].
Die Betreuung von geschlechtsdiversen Personen ist Teil des gynäkologischen Berufsfelds. Doch viele Patient*innen outen sich ihren Ärzt*innen gegenüber nicht [28‐30] oder meiden den Besuch von Gesundheitseinrichtungen generell [31, 32]. Das Erleben von Diskriminierungserfahrungen im Jugendalter ist ein wesentlicher Faktor, der zur Vermeidung des Gesundheitswesens im Erwachsenenalter beiträgt [33]. Daher ist es umso wichtiger, dass sich Ärzt*innen der Verantwortung einer sensiblen und traumainformierten Arbeit bewusst sind und für einen wertschätzenden Umgang mit Patient*innen unabhängig von deren Geschlechtsidentität sorgen.
J. Steininger gibt an, dass kein Interessenkonflikt im klassichen Sinne besteht. J. Steininger identifiziert sich als nicht-binäre Person und war mehrer Monate an einer Universitätsklinik für Frauenheilkunde ärztlich tätig.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.