Die Frage des Operationsrisikos bei Patienten mit Lebererkrankung soll anhand folgender klinischer Situationen behandelt werden.
1. Patient ohne bekannte Lebererkrankung mit zufällig entdeckten erhöhten „Leberwerten“
Diese Situation kommt mit einer Häufigkeit von ca. 1:300 bis 1:700 bei Operationskandidaten ohne vorbekannte Lebererkrankung vor [
23,
24]. Die Erhöhung nur eines Einzelwerts (γ-GT, alkalische Phosphatase, Transaminasen) hat keine fassbare Erhöhung des chirurgischen Risikos zur Folge [
3]. In der nichtinvasiven Abklärung hilft eine nochmalige Kontrolle nach Alkoholkarenz oder das Absetzen medikamentöser Therapien. Isolierte Erhöhungen von einzelnen Leberwerten sind häufig auch bei nichthepatologischen Erkrankungen zu beobachten (Übergewicht, Diabetes mellitus, kardiale Dekompensation, Kollagenosen, Vaskulitiden, Sarkoidose). Sind hingegen mehrere „Leberwerte“ bei Patienten ohne vorbekannte Lebererkrankung erhöht, ist eine bisher nicht erkannte hepatale Grunderkrankung möglich. Bei asymptomatischen Patienten ohne akute Lebererkrankung kann das Operationsrisiko anhand der Child-Pugh-Klassifikation orientierend abgeschätzt werden. Da es sich um asymptomatische Patienten handelt, kann als „worst case scenario“ maximal eine kompensierte Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh A angenommen werden. Da für Child-Pugh-A-Leberzirrhosen selbst kein wesentlich erhöhtes Operationsrisiko angenommen werden muss, kann unter Voraussetzung einer korrekten Operationsindikation eine elektive Operation auch ohne weitere Abklärung der Lebererkrankung (Leberbiopsie) durchgeführt werden [
3].
2. Patienten mit bekannter stabiler Lebererkrankung
Patienten mit chronischer Virushepatitis (Hepatitis B, Hepatitis C) weisen keine erhöhte präoperative Mortalität im Vergleich zu nichthepatal erkrankten Patienten auf [
25]. Patienten mit Steatosis hepatis weisen eine gegenüber Lebergesunden nicht erhöhte operative Mortalität auf, lediglich bei hepatischen Resektionen ist die Mortalität mit dem histologischen Ausmaß der Steatose verknüpft. Patienten mit mehr als 30 % Steatose weisen eine Mortalität von 14 % auf gegenüber 3 % Mortalität bei Patienten mit weniger als 5 % hepatalem Fett [
26]. Liegt eine nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) vor, ist die Morbidität nach hepatischer Resektion gegenüber Patienten mit reiner Steatose erhöht [
27]. Obwohl NASH eine häufige Komplikation bei Patienten mit morbider Adipositas ist und in diesen Patienten auch häufiger eine NASH-Zirrhose vorliegt, können Patienten mit NASH-Zirrhose einem bariatrisch-chirurgischen Eingriff zugeführt werden [
28]. Patienten mit einer gut eingestellten Autoimmunhepatitis unter immunsuppressiver Therapie mit Kortison und/oder Azathioprin sind geeignete Kandidaten für elektive chirurgische Eingriffe. Auch eine Lebersegmentresektion in einer Child-Pugh-A-Leberzirrhose ist gegenüber einer Lebersegmentresektion in einer nichtzirrhotischen Leber bei sorgfältiger Patientenselektion nur mit einer nicht signifikant erhöhten intra- und postoperativen Mortalität verknüpft [
29‐
31]. Geeignete Kandidaten für eine operative Resektion eines hepatozellulären Karzinomknotens sind Patienten mit Child-Pugh-A-Zirrhose, bei denen zusätzlich weder das Bilirubin über den Normbereich erhöht ist noch eine klinisch signifikante portale Hypertension (HPVG > 10 mm Hg) vorliegt [
32].
3. Symptomatischer Patient mit Lebererkrankung
Hierbei handelt es sich meist um Patienten mit mechanischem Ikterus, manchmal wird auch eine akute Hepatitis unter einer anderen Verdachtsdiagnose einer Operation zugeführt. Auch Patienten mit bekannter dekompensierter Leberzirrhose fallen in diese Kategorie. Symptomatische Patienten mit Lebererkrankung weisen ein erhöhtes OP-Risiko auf [
8]. Zwei Studien aus dem Jahre 1984 [
33] und 13 Jahre später 1997 [
34] zeigen bei abdominellen offenen Operationen bei Child-Pugh-C- (ca. 70–80 %) und bei Child-Pugh-B-Zirrhose (ca. 30 %) eine praktisch unveränderte Mortalität über die Jahre. Eine bei Child-Pugh-C-Zirrhose-Patienten durchgeführte offene Cholezystektomie weist eine 30-Tage-Mortalität nach der Operation von ca. 80 % auf, bei Child-Pugh A/B von ca. 9 % [
35]. Seit Einführung der laparoskopischen Cholezystektomie haben sich diese Zahlen deutlich verbessert, eine 2002 veröffentlichte Studie [
36] zeigt eine Mortalität bei Leberzirrhose von lediglich 0,9 %; diese ist jedoch immer noch signifikant erhöht gegenüber den 0,01 % bei nicht an Leberzirrhose erkrankten Patienten [
37‐
39].
Eine laparoskopische Cholezystektomie kann bei Patienten mit Leberzirrhose Child-Pugh A oder B oder einem MELD-Score bis zu 13 mit einer akzeptablen geringen Mortalität durchgeführt werden [
40]. Eine offen durchgeführte kolorektale Chirurgie (wegen Divertikel oder kolorektaler Tumoren) ist mit Mortalitätsraten bis 26 % vergesellschaftet [
41,
42]. Auch hier könnte eine laparoskopische chirurgische Vorgangsweise, wenn krankheitsstadiengerecht möglich, eine Reduktion der Mortalität aufweisen.
Eine spezielle Situation stellen Patienten mit mechanischem Ikterus dar. Sie sind für eine Reihe von peri- und postoperativen Komplikationen, wie Infektionen, Stressulzera, disseminierte intravaskuläre Koagulation, Wunddehiszenz und Nierenversagen, anfällig. Die perioperative Mortalität dieser nichtzirrhotischen Patienten mit mechanischem Ikterus lag bei 9 % [
43]. Eine Multivariatanalyse zeigte, dass ein Hämatokrit unter 30 %, ein Bilirubin über 11 mg% und eine maligne Natur der Obstruktion unabhängige Risikofaktoren darstellen. Bei Vorhandensein aller 3 Faktoren war die 30-Tage-Mortalität 60 %, wohingegen bei der Präsenz nur eines Faktors eine nur 5 %ige Mortalität zu verzeichnen war. Diese Hochrisikosituation wurde durch verschiedene präinterventionelle Eingriffe zu verändern versucht. Bei Vorhandensein eines malignen Verschlusses konnte jedoch weder für die präoperativ perkutane [
44] noch für die endoskopisch transpapillare Drainage [
45,
46] eine Reduktion der Mortalität gezeigt werden. Eine perioperative breitspektrumantibiotische Therapie führt zwar zu einer Reduktion perioperativer Infektionen, hat jedoch keinen Einfluss auf die Mortalität [
47], die besonders durch postoperatives Nierenversagen beeinflusst wird [
48].
Bei Vorliegen eines steinbedingten Gallengangsverschlusses ist die Situation jedoch gänzlich anders. Hier konnte überzeugend gezeigt werden, dass der Einsatz einer endoskopisch geführten Drainage und intravenöser Antibiotika mit einer Reduktion von Morbidität und Mortalität assoziiert ist [
49].
Symptomatische Patienten mit Leberzirrhose wiesen in der Vergangenheit bei Resektion eines Lebertumors eine inakzeptable hohe Mortalität (>50 %) auf; auch heute noch ist diese sehr hoch und für Child-Pugh-B- und -C-Patienten keine Option [
50]. In den letzten Jahren ist die peri- und postoperative Mortalität deutlich gesunken und weist Mortalitätsraten von 8 % für ausgedehnte Resektionen und 3,4 % für eingeschränkte Resektionen auf [
31]. Eine deutlich verbesserte chirurgische Technik (minimalinvasive Resektion), verbunden mit intensiver postoperativer Überwachung und besserer Selektion von potenziellen Resektionskandidaten haben eine weitere Verbesserung erbracht [
51]. So wird eine postoperative Mortalität von nur 1,2 % erreicht, wenn kein Leberversagen nach Resektion, definiert als INR > 1,7 (entspricht PTZ < 50 %) und Bilirubin > 2,9 mg/dl (entspricht 50 µmol/l), auftritt. Eine klinisch signifikante portale Hypertension (Splenomegalie mit Plättchen < 100.000/ml oder Ösophagusvarizen) ist auch gegenwärtig noch mit einer hohen postoperativen Morbidität und Mortalität verknüpft [
32]. Dementsprechend empfehlen die Leitlinien der Europäischen Lebergesellschaft zur Resektion des Hepatozellulären Karzinoms [
52], eine Resektion bei singulären HCC-Knoten in Child-Pugh-A-Leberzirrhose mit ausgezeichneter Leberfunktion (normales Bilirubin) und klinisch nichtsignifikanter portaler Hypertension (HPVG < 10 mm Hg) zu beschränken. In letzter Zeit wurde versucht, die Limits der Operabilität Richtung größere Tumoren zu verschieben: Die 3 wesentlichen Parameter portale Hypertension, Ausmaß der Leberresektion (größer oder kleiner 3 Segmente) und Leberfunktion (MELD-Score) stellen die Eckpfeiler der Risikoabschätzung dar. Eine Resektion von weniger als 3 Lebersegmenten bei einem niedrigen MELD-Score (≤9) und Absenz einer klinisch signifikanten portalen Hypertension ist mit einer Mortalität von nur 0,5 % verknüpft [
53].
Patienten mit symptomatischer Leberzirrhose haben ein deutlich erhöhtes Risiko bei kardiochirurgischen Eingriffen. Die Mortalität erreicht 25 %, die Komplikationsrate 60 %. Auch diese Patienten sind, wenn verfügbar, mit weniger invasiven therapeutischen Optionen (Stenting, Valvuloplastie) besser versorgt [
54].