In dem nun dargestellten Fall handelt es sich um einen 59-jährigen Patienten, der ursprünglich am 24.10.2018 auf der Universitätsklinik für Chirurgie, wegen einer fortschreitenden Aszites aufgenommen wurde. Während des Aufenthalts auf der chirurgischen Abteilung wurde der Patient bereits aufgrund von Alkoholentzugssymptomen konsiliarpsychiatrisch betreut und auf eine initiale Entzugsmedikation von 75 mg Oxazepam pro Tag eingestellt und erhielt eine Substitutionstherapie mittels 600 mg Thiamin (Vitamin B1) i.v. über 3 Tagesdosen verteilt für insgesamt 5 Tage.
Während des Aufenthalts an der chirurgischen Abteilung kam es im Zuge eines ausgeprägten Alkoholentzugssyndroms zu einem Sturz, der aufgrund einer bestehenden Antikoagulation mit Clopidogrel, mittels kranialer Computertomographie abgeklärt wurde. Dabei zeigte sich kein Hinweis auf eine intrakranielle Blutung. Wegen einer radiomorphologisch suszipierten Pneumonie und einer Fieberzacke, die sich während des Aufenthalts auf der chirurgischen Station ereignete, wurde eine Antibiose mit Moxifloxacin etabliert.
An der Universitätsklinik für Chirurgie wurden neben einer weiterführenden Abklärung der Leber mittels Lebervenenkatheter und Biopsie auch eine Gastroskopie sowie Koloskopie durchgeführt, welche bis auf pflastersteinartige Aspekte und einzelne, blande Sigmadivertikel keine Auffälligkeiten ergaben. Das Ergebnis der Lebervenenkatheteruntersuchung zeigte das Bild einer subklinischen, portalen Hypertension bei einem „hepatic venous pressure gradient“ (HPVG) von 6 mm Hg (Normwert 2–5 mm Hg). Die Histologie zeigte eine abszendierende Cholangitis, eine Steatohepatitis bei periportaler und perizellulärer Fibrose, sowie eine geringe Siderose im Parenchym. In mäßigem Allgemeinzustand wurde der Patient schließlich am 02.11.18 auf die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie transferiert, um den Alkoholentzug fortzusetzen und mit einer weiterführenden psychiatrischen Therapie zu beginnen.
Anamnestisch gab der Patient an, seit dem 35. Lebensjahr Alkohol zu konsumieren. Seit dem 50. Lebensjahr habe sich der Alkoholkonsum deutlich gesteigert und betrug seitdem im Durchschnitt 0,5 l hochprozentige (40 %) alkoholische Getränke täglich – einem Konsum von etwa 160 g reinen Alkohols pro Tag entsprechend. Nach einer Omega-Loop-Bypass-Operation bei Adipositas per magna im Jahr 2013 war der Alkoholkonsum des Patienten kurzeitig etwas reduziert, schrittweise steigerte sich dieser aber wieder auf das präoperative Niveau. Im Januar 2018 wurde bei dem Patienten schließlich durch das Krankenhaus Rudolfstiftung eine Leberzirrhose erstdiagnostiziert.
Aufgrund dieser Diagnose reduzierte der Patient seinen Alkoholkonsum auf 100 ml hochprozentige alkoholische Getränke pro Tag – einem täglichen Konsum von etwa 33 g reinen Alkohols entsprechend. Der Patient hatte bisher noch nie psychiatrische oder psychotherapeutische Betreuung in Anspruch genommen. Zusätzliche, bereits vorbekannte, körperliche Komorbiditäten waren eine arterielle Hypertonie, ein insulinabhängiger Diabetes mellitus (IDDM), der Verdacht auf einen leichten Schlaganfall im Jahr 2008 sowie der Zustand nach Koronar-Stent-Implantation bei koronarer Herzkrankheit (KHK) im Jahr 2017. Seit Januar 2018 war der Patient wiederholt wegen einer Aszites in Behandlung gewesen. Eine dieser Episoden führte letztlich zur Aufnahme auf der Universitätsklinik für Chirurgie.
Somatische Aspekte der Behandlung
Im weiteren Verlauf war es wichtig, weitere durch die Leberfunktionsstörung bedingte internistische Komplikationen frühzeitig zu diagnostizieren und adäquat zu behandeln. Insbesondere sind auf eine weitere Verschlechterung der Lebersynthesefunktion, Anämie, Thrombozytopenie, Elektrolytentgleisungen, kompromittierte Gerinnung und Ammoniakerhöhung zu achten.
Als grundlegende Diagnostik wurden im gegenständlichen Fall regelmäßige Laborkontrollen durchgeführt. In diesen zeigte sich neben einer normochromen normozytären Anämie, eine Thrombozytopenie sowie erhöhte Leberenzymwerte (GOT, GPT, γ‑GT), ein erhöhtes Bilirubin und eine verschlechterte Gerinnung im Sinne einer erhöhten INR (International Normalized Ratio) und Verlängerung des Normotests.
Die Anämie ist bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit einerseits oft durch einen Mangel an Vitamin B12 und Folsäure sowie durch einen direkten myelodepressiven Effekt des Ethanols bedingt [
8]. Dies kann nicht nur zu einer Anämie führen, sondern auch zu einer generellen Panzytopenie. Liegt dann auch noch eine fortgeschrittene Lebererkrankung vor, ist das Immunsystem des Patienten über multiple Mechanismen reduziert und die Infektanfälligkeit dieser Patienten ist massiv erhöht [
5]. Der vorzustellende Patient hatte zum Zeitpunkt der Transferierung 7,70 G/l Leukozyten und ein Hämoglobin von 8,3g/dl. Da sich die Erythropoese im Laufe des Entzugs erfahrungsgemäß relativ rasch erholt und normalisiert – auf eine Substitution bei zusätzlich vorhanden Eisenmangel ist zu achten – wurde diesbezüglich auf eine unmittelbare Therapie verzichtet. Im Zuge des Weiteren stationären Verlaufs verbesserten sich die entsprechenden Parameter und der Patient konnte schließlich mit einem Hämoglobin von 9,2 g/dl entlassen werden.
Die deutlich erhöhten Werte der Leberenzyme (GOT: 122 U/l, GPT: 46 U/l) standen im Einklang zur psychiatrischen Grunderkrankung. Ebenso der De-Ritis-Quotient >2 (2,65). – Dieser spielt eine wichtige Rolle in der Differenzialdiagnose von Lebererkrankungen und wird aus dem Verhältnis zwischen GOT und GPT beziehungsweise AST und ALT berechnet. Liegt der De-Ritis-Quotient zwischen 1 und 2 ist das ein möglicher Hinweis auf vermehrten Alkoholkonsum, Werte über 2 sprechen für eine akute alkoholbedingte Hepatitis. Werte kleiner 1 wiederum sprechen für eine Lebererkrankung viraler Genese [
9].
Ein De-Ritis-Quotient über 2 weist auf eine akute alkoholbedingte Hepatitis hin
Die INR wird maßgeblich durch die in der Leber synthetisierten Gerinnungsfaktoren II, V, VIII und X bestimmt und stellt daher einen Verlaufsparameter für die Syntheseleistung der Leber dar. Diesen Zusammenhang kann man sogar diagnostisch nutzen, in dem eine parenterale Gabe von Vitamin K verabreicht wird und dann mit einem ausreichenden Abstand von mindestens 24 h die Bestimmung der INR wiederholt wird. Normalisieren sich die Gerinnungstests nicht, so ist eine Leberzellinsuffizienz ursächlich für die gestörte Gerinnung und nicht eine Resorptionsstörung oder ein Vitamin-K-Mangel [
10]. Beim vorzustellenden Fall kam es zu einer geringgradigen Verbesserung der Thromboplastinzeit bzw. des Quick-Werts nach parenteraler Vitamin-K-Gabe. Es wurde daher von einer ausreichend vorhandenen Lebersyntheseleistung ausgegangen.
Ebenfalls im Zusammenhang mit der Syntheseleistung der Leber sind verminderte Albumin-Spiegel bzw. verringerte Gesamteiweißwerte im Serum zu sehen. Das klinische Korrelat zum Albumin-Mangel (26,8 g/l) im vorzustellenden Fall waren beidseits mäßige Beinödeme sowie ein Perikarderguss. Daher erhielt der Patient in den ersten Tagen nach der Transferierung parenteral zusätzlich zu Vitamin K auch Humanalbumin. Die ebenfalls in Laborkontrollen festgestellten Elektrolytentgleisungen (Hypokäliämie, Hyponatriämie und Hypochloridämie) wurden durch entsprechende orale Substitution ausgeglichen.
Ein weiterer wichtiger Laborparameter, der bestimmt wurde, bei diesem Fall allerdings im Referenzbereich lag, ist Ammoniak. Die Substanz ist ein Marker, der mit dem Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie (HE) assoziiert sein kann. Diese Komplikation ist von psychiatrischer Relevanz, da sie klinisch, abhängig vom Schweregrade, primär durch Bewusstseinsstörungen von Orientierungsverlust und Verwirrtheit bis hin zum Koma gekennzeichnet ist. Auch wenn die Pathophysiologie der HE noch nicht eindeutig geklärt ist, spielt Ammoniak dabei definitiv eine wichtige Rolle. Erhöhte Serumspiegel wirken neurotoxisch und bewirken eine Inhibition der exzitatorischen Neurotransmission und können bei einem abrupten Anstieg, zum Beispiel im Rahmen einer akuten alkoholbedingten Hepatitis, auch ein Hirnödem auslösen [
11]. Die klinische Einteilung erfolgt nach den Westhaven-Kriterien. Hierbei ist zu beachten, dass speziell bei Patienten mit Leberzirrhose die Symptome einer HE mild ausgeprägt und schwer von alkoholbedingten kognitiven Defiziten zu unterscheiden sein können. Dennoch kann diese Form einer HE verantwortlich für Stürze, Müdigkeit und inadäquates Verhalten der Patienten sein [
11].
Anhand spezifischer Klassifikationen, wie dem Child-Pugh-Score oder dem Model-of-End-Stage-Liver-Disease(MELD)-Score, der ursprünglich zur Objektivierung einer Transplantationsindikation entwickelt wurde, kann das Stadium der Lebererkrankung evaluiert und eine Prognose angegeben werden. Der MELD-Score wird berechnet aus Serumkreatinin, Serumbilirubin und INR.
Ammoniak ist bei einer hepatischen Enzephalopathie ein wichtiger Laborparameter
Demgegenüber werden beim Child-Pugh-Score zusätzliche klinische Parameter wie das Vorliegen einer Aszites oder einer hepatischen Enzephalopathie bewertet. Diese Klassifikationen zeigen auch eindrucksvoll die schlechte Prognose dieser Erkrankungen auf. So liegt die 2‑Jahres-Mortalität bei einem Child-Pugh-Stadium C bei 75 % und die 3‑Monats-Mortalität bei einem MELD-Score von 30–39 bei 52,6 % und bei Werten über 40 sogar bei 71,3 %. Im gegenständlichen Fall hatte der Patient einen Child-Pugh-Score entsprechend einem Stadium B (40 % 2‑Jahres-Mortalität) und einen MELD-Score von 20 Punkten (19,6 % 3‑Monats-Mortalität).