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21.01.2025 | Pubertas praecox

Notfall in der Kindergynäkologie

verfasst von: Neli Semrl

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Obwohl selten, können auch präpubertäre Mädchen von schweren Erkrankungen des Reproduktionssystems betroffen sein. Neben vaginalen Blutungen ist akuter Bauchschmerz ein häufiges Symptom, das im ersten Schritt oft falsch zugeordnet wird.

Die Kindergynäkologie stellt eine Schnittstelle zwischen Pädiatrie und Gynäkologie dar und erfordert häufig eine interdisziplinäre Behandlung. Obwohl kindergynäkologische Notfälle selten auftreten, präsentieren sie sich in vielfältiger Form. Während der hormonellen Ruhephase sind vaginale Blutungen, Vulvovaginitiden sowie gynäkologische Ursachen akuter Bauchschmerzen häufige Gründe für eine Notfallkonsultation.

Gynäkologische Abklärung

Die kindergynäkologische Untersuchung erfordert altersgerechte Anpassungen, da sich die gynäkologischen Probleme, die in der Kindheit auftreten, in verschiedenen Entwicklungsstadien präsentieren. Kommunikationsfähige Mädchen sollen aktiv in den Dialog einbezogen werden, indem altersgerechte Fragen gestellt und alle Schritte verständlich erklärt werden. Das Vertrauen wird durch ein Gespräch und eine allgemeine körperliche Untersuchung aufgebaut, die den Mädchen bereits vertraut ist, bevor eine ausschließlich symptomorientierte gynäkologische Untersuchung erfolgt.

Bei nicht-östrogenisiertem Hymen, das besonders schmerzempfindlich ist, ist die Separations-Traktions-Methode unerlässlich. Hierbei werden die Schamlippen behutsam getrennt (Separation) und nach lateral und kaudal gezogen (Traktion), um eine gute Visualisierung von Vulva, distalem Teil der Vagina, Perinealregion, Harnröhre und Hymen zu ermöglichen. Das Mädchen kann gebeten werden, ein Valsalva-Manöver durchzuführen (z. B. Husten), um den distalen Teil der Vagina besser sichtbar zu machen und gleichzeitig abzulenken.

Für Säuglinge und Kleinkinder wird die Untersuchung in Abduktionsstellung der Beine, in der sogenannten „Froschhaltung“ durchgeführt. Bei Mädchen über zwei Jahre bietet die Knie-Brust-Lage eine gute Sicht auf Scheide und Gebärmutterhals ohne Instrumentierung. Die Untersuchung kann auf dem Schoß der Begleitperson durchgeführt werden, um ängstlichen Mädchen mehr Sicherheit zu geben. Ältere Mädchen und Adoleszentinnen werden üblicherweise auf einem gynäkologischen Stuhl untersucht. In den meisten Fällen genügt eine Inspektion, um die Diagnose zu stellen. Auch in der Kindergynäkologie ist Ultraschall die bildgebende Methode erster Wahl und erfolgt transabdominell mit einer gut gefüllten Blase. Der Uterus eines Neugeborenen ist relativ groß. Die Zervix ist prominent und das Verhältnis zwischen Corpus und Zervix beträgt etwa 1:2,5. Während der hormonellen Ruhephase nimmt der Uterus eine schmale („Peperoni“) Form an. In diesem Stadium beträgt das Verhältnis zwischen Corpus und Zervix etwa 1:1. Unter dem Einfluss von Hormonen während der Pubertät wächst der Uterus und nimmt die charakteristische „Birnenform“ an. Die Ovarien zeigen sich im Ultraschall relativ echoreich und Follikel mit einem Durchmesser bis zu neun Millimeter gelten in jedem Alter als normaler Befund.

Präpubertäre vaginale Blutung

Vaginale Blutungen bei Mädchen vor der Pubertät sind selten und rufen bei Eltern und Patientinnen meistens große Besorgnis hervor. Gelegentliche vaginale Blutungen nach der Geburt resultieren aus dem postpartalen Anstieg der Gonadotropine und sind physiologisch. Ansonsten erfordert eine präpubertäre vaginale Blutung eine Abklärung.

Diese kann das Leitsymptom für eine Vielzahl von Erkrankungen sein. Häufig handelt es sich dabei um gutartige, oft selbstlimitierende Diagnosen wie Vulvovaginitiden, jedoch können auch Endokrinopathien wie Pubertas praecox , Dermatosen oder sogar Fälle von sexuellem Missbrauch und Malignität vorliegen. Im Folgenden werden die in der Notfallambulanz am häufigsten anzutreffenden Ursachen näher erläutert. Die Grafik (siehe unten) stellt ein vereinfachtes, jedoch in einer Notfallsituation sinnvolles Flussdiagramm zur Differenzialdiagnostik dar.

Vulvovaginitiden

Vulvovaginitis kann zu vaginaler Blutung führen und gehört zu den häufigsten gynäkologischen Beschwerden bei präpubertären Mädchen. In einer Umfrage aus Großbritannien gaben 41 Prozent der behandelnden Ärzte an, dass sie Candida albicans als den am häufigsten angenommenen Erreger bei präpubertärer Vulvovaginitis betrachteten. Entsprechend wurden bei Auftreten von Symptomen einer Vulvovaginitis am häufigsten Antimykotika verschrieben. Bei Neugeborenen und in der Säuglingsphase kann eine vertikale Übertragung von Mykosen eine Soorvulvitis oder Stomatitis verursachen. Jedoch sind vaginale Mykosen im nicht-östrogenisierten vaginalen Milieu nahezu ausgeschlossen.

Vulvovaginitiden, die in der hormonellen Ruhephase auftreten, sind in der Regel unspezifischer Natur und werden durch lokale Reizungen, suboptimale Hygiene oder auch durch einen Fremdkörper verursacht. Die erhöhte Anfälligkeit von Kindern für Vulvovaginitiden lässt sich auf eine Kombination von anatomischen Faktoren zurückführen, darunter die enge Nähe der Vagina zum Anus, die nicht-östrogenisierte Schleimhaut der Vagina und ein alkalischer pH-Wert der Vagina, sowie auf Verhaltensfaktoren. Vulvitis und Vaginitis können separat oder in Kombination auftreten. Zu den Symptomen gehören Juckreiz, Empfindlichkeit, Rötung, Dysurie und/oder Blutung. Unspezifische Vulvovaginitis macht bis zu 80 Prozent aller Fälle aus. Meistens reagiert sie auf Hygienemaßnahmen und das Vermeiden identifizierter Reizstoffe. Während der akuten Phase können Sitzbäder oft Linderung bringen. Bei schwerer Entzündung kann die Anwendung von topischem Östrogen die Symptome lindern. Unter Einhaltung dieser Maßnahmen sollten die Symptome innerhalb von zwei Wochen abklingen. Der Nutzen eines bakteriologischen Abstrichs ist bei unspezifischen Vulvovaginitiden nicht gegeben.

Spezifische pathogene Erreger lassen sich bei Begleitvulvovaginitiden im Rahmen von respiratorischen Infekten nachweisen, da Kinder die Atemwegsflora aus Nase und Mund-Rachen-Raum in den Vulvabereich übertragen können. Dies äußert sich häufig durch (eitrigen) Vaginalausfluss, wobei Streptokokken der Gruppe A besonders mit Blutungen in Verbindung stehen; der Ausfluss ist in etwa 50 Prozent der Fälle blutig tingiert. Zusätzliche Symptome können Pruritus, Dysurie oder Schmerzen sein. Ein charakteristisches Merkmal der Streptokokkeninfektion der Gruppe A im Dammbereich ist eine feurige Rötung der Haut, oft mit scharfem Rand. Die meisten Patienten haben bei der Vorstellung keine symptomatische Pharyngitis. Es ist daher wichtig, in der Anamnese gezielt nach vor Kurzem stattgefundenen Infektionen zu fragen. Bei Verdacht auf eine spezifische Infektion und/oder bei Ausfluss sollte ein Abstrich entnommen werden. Dabei ist zu beachten, das Hymen nicht zu berühren. Eine antibiotische Behandlung ist wichtig, um schweren systemischen Komplikationen vorzubeugen.

Fremdkörper

Eine weitere Ursache für vaginale Blutungen vor der Menarche sind vaginale Fremdkörper, typischerweise Toilettenpapier, kleine Plastikspielzeuge, Stiftkappen oder andere kleine Gegenstände. Selbst bei sprachfähigen Kindern wird die Anamnese nur selten erhoben, wodurch die Diagnose zu einem langwierigen Prozess werden kann. Die Leitsymptome sind vaginale Blutungen und das Vorhandensein von (eitrigem) Ausfluss. Eine wiederkehrende Vaginitis sollte besonders auf diese Diagnose hinweisen. Die Visualisierung von Fremdkörpern erfolgt oft durch Inspektion in der Knie-Brust-Lage. Der transabdominale oder transperineale Ultraschall eignet sich weniger zur präzisen Diagnose, insbesondere wenn es sich um kleine Objekte handelt, die die anatomischen Strukturen nicht stark verzerren. Objekte ab einer Größe von fünf Millimeter können jedoch visualisiert werden, typisch dabei ist eine Impression der Blasenwand von dorsal. Bei nachgewiesenem Fremdkörper oder bei deutlichem Verdacht kann durch eine Kochsalzlösungsspülung der Fremdkörper oft entfernt werden. Falls erfolglos, ist eine Vaginoskopie unter Sedierung angezeigt.

Trauma

Akute Verletzungen des äußeren Genitales bei Mädchen entstehen am häufigsten durch Unfälle beim Spielen, wie etwa Stürze auf Querstangen beim Klettern oder Aufprallen auf die Fahrradstange. Es ist wichtig, den Unfallhergang genau zu erfragen. Das Spektrum genitaler Verletzungen variiert von Schürfungen über größere Hämatome bis hin zu Damm- oder Scheidenrissen, wobei Labienverletzungen am häufigsten auftreten. In der Notfallambulanz erfolgt neben einer Ganzkörperuntersuchung eine umfassende Inspektion der gesamten Vulva, einschließlich Ostium urethrae und Anus, vorzugsweise unter kolposkopischer Vergrößerung. Eine Dokumentation der Verletzungen ist unerlässlich. Die Miktion wird überprüft und durch eine Harnanalyse begleitet. Eine Überprüfung des Tetanusimpfstatus wird empfohlen. Eine abdominale Sonografie dient dazu, freie Flüssigkeit als Hinweis auf innere Blutungen auszuschließen. Etwa 80 Prozent der Verletzungen lassen sich konservativ behandeln, beispielsweise mit Kühlung und Schmerztherapie. Operative Interventionen sind erforderlich bei ausgeprägten Hämatomen, Penetrationsverletzungen etc.

Urethralprolaps

Ein Urethralprolaps kann ebenfalls Blutungen bei Mädchen verursachen. Bei der Untersuchung zeigt sich eine ringförmige, ödematöse, teilweise auch hämorrhagische Ausstülpung am Meatus urethrae externus („doughnut sign“). Das Auftreten eines Urethralprolaps scheint bei übergewichtigen Mädchen häufiger vorzukommen, wobei der Höhepunkt der Inzidenz im Alter von 4 Jahren liegt. Das häufigste Symptom ist eine schmerzlose Blutung. Die Therapie umfasst Sitzbäder und die lokale Anwendung von Östrogencreme. Ein operativer Eingriff ist selten erforderlich.

Hymenalatresie

Die Hymenalatresie ist eine seltene angeborene Anomalie des weiblichen Genitaltrakts, bei der ein kompletter Verschluss der Vaginalöffnung vorliegt. Sie tritt typischerweise isoliert auf und eine Evaluierung der Begleitfehlbildungen des Urogenitaltrakts ist in der Regel nicht notwendig. Eine verzögerte Diagnose ist häufig, aufgrund der niedrigen Prävalenz von etwa 0,1 Prozent und des langen asymptomatischen Verlaufs.

Idealerweise sollte die Hymenalatresie während der Neugeborenenperiode diagnostiziert werden. In einigen Fällen manifestiert sie sich bei Neugeborenen als Mukokolpos. Danach fallen die Mädchen erst wieder auf, wenn eine primäre Amenorrhö mit oder ohne Symptome vorliegt.

Der häufigste Grund für einen Besuch in der Notaufnahme ist der (zyklische) Bauchschmerz bei Mädchen mit primärer Amenorrhö. Ein Review von Lee et al. (2019) hat gezeigt, dass auch Harnretention, Dysurie und Harndrang häufige Beschwerden sind, die durch einen Hämatokolpos verursacht werden, der mechanisch auf Blase und Harnröhre wirkt. Bei Mädchen mit Hymenalatresie zeigt sich – abgesehen von der Amenorrhö – bei der Untersuchung in der Regel eine normale Pubertätsentwicklung. Typisch ist eine prallelastische, dünn ausgezogene Membran, durch die dunkelblaues oder bräunliches Menstruationsblut durchscheint. In der Sonografie erscheint ein Hämatokolpos als Raumforderung mit einer glatten äußeren Begrenzung und einem homogenen, echoarmen Inhalt. Dabei befindet sich der Uterus am kranialen Ende.

Es kommt gelegentlich vor, dass Mädchen fälschlicherweise mit dem Verdacht auf eine maligne Raumforderung der Adnexe in der Notaufnahme vorgestellt werden wegen fehlerhafter Interpretation des Hämatokolpos als Raumforderung im Adnexbereich.

Die Therapie der Wahl ist die chirurgische Behandlung durch Hymenotomie oder Hymenektomie unter Katheterisierung der Urethra. Der ideale Zeitpunkt für den chirurgischen Eingriff liegt vor dem Auftreten von Symptomen, jedoch nach Beginn der Pubertätsentwicklung im östrogenisierten Zustand, normalerweise innerhalb eines Jahres nach Einsetzen der Thelarche.

Die postoperative Prognose ist günstig, und den Patientinnen sollte mitgeteilt werden, dass eine isolierte Hymenalatresie keine Auswirkungen auf Fertilität, sexuelle Funktion oder geburtshilfliche Outcomes hat.

Adnextorsion

Die Adnextorsion bezeichnet die Verdrehung der Adnexe um ihre eigene Achse, was zu einer Abklemmung der A. und V. ovarica führt. Es können Tube und Ovar isoliert oder zusammen torquieren. Dies führt zu einem Abflussstau, einem Ödem der Adnexe, zu Ischämie und letztendlich zur Nekrose. Die Adnextorsion macht etwa drei  Prozent aller Fälle von akuten Bauchschmerzen bei Kindern aus. Im Gegensatz zu erwachsenen Frauen tritt eine Ovarialtorsion im Kindesalter auch bei anatomisch normalem Ovar häufig auf. Das rechte Ovar neigt eher zur Torsion im Vergleich zum linken, bedingt durch das Sigma, das den Beckenraum ausfüllt und die Mobilität des linken Ovars einschränkt.

Das klinische Erscheinungsbild ist unspezifisch. Typische Symptome sind akute, sehr starke, meist einseitige Unterbauchschmerzen, begleitet von Übelkeit und Erbrechen. Die Schmerzsymptomatik ist nicht selten intermittierend mit schmerzfreien Intervallen, abhängig von der aktuellen Durchblutungssituation des Ovars, da oft eine Tendenz zur Retorquierung besteht. In zwei Drittel der Fälle ist der Schmerz rechts lokalisiert und im Kindesalter wird häufig zuerst an eine Appendizitis gedacht.

Es gibt keinen spezifischen laborchemischen Test. Leukozytose und erhöhte CRP-Werte sind möglich, aber unspezifisch. Die Sonografie ist die Bildgebungsmethode der Wahl. Typische Befunde sind ein vergrößertes, nahe der Bauchdecke gelegenes Ovar mit perlenschnurartigen, peripher angeordneten Follikeln. Bei der Beurteilung der Größe ist der bilaterale Vergleich entscheidend. Ein fehlender Doppler-Fluss weist auf eine Torsion hin. Allerdings schließt ein normaler Fluss eine Ovarialtorsion nicht aus, wenn zum Beispiel nur der venöse Abfluss behindert ist oder bei einer intermittierenden Torsion. Das „Whirlpool-Zeichen“ gilt als pathognomonisch für eine Stieldrehung. Dabei zeigen sich die Gefäße in typischer Weise, wenn der Stiel quer angeschnitten wird.

Das Management der Adnextorsion hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Trotzdem wird immer noch die Oophorektomie praktiziert, was auf frühere Empfehlungen zurückzuführen ist, die besagten, dass die Entfernung der Adnexe aufgrund eines theoretischen Risikos eines thromboembolischen Ereignisses durch die Detorquierung notwendig sei. Die Literatur belegt jedoch, dass dieses Risiko unbegründet ist. Ebenso unterstützen mehrere Studien die Annahme, dass selbst ein dunkel verfärbter Eierstock während der Operation höchstwahrscheinlich noch funktionsfähig ist. Ebenfalls beeinflusst die Zeit von der Verdachtsdiagnose bis zur Operation die Prognose. Eine verkürzte „time to surgery“ minimiert das Trauma und die Ischämie des Eierstocks. Bei klinischem Verdacht auf Ovarialtorsion ist somit eine rasche diagnostische Laparoskopie indiziert.

Fazit für die Praxis

- Eine erfolgreiche kindergynäkologische Untersuchung erfordert Kenntnisse über altersspezifische Symptome in Bezug auf die Entwicklungsstadien des Kindes.

- Das nicht-östrogenisierte Hymen ist schmerzempfindlich; meistens genügt eine Inspektion mittels der Separations-Traktions-Methode.

- Pilzinfektionen brauchen ein Östrogenmilieu – vaginale Mykosen bei Mädchen in der hormonellen Ruhephase sind sehr selten.

- Im Kindesalter sind unspezifische Vulvovaginitiden am häufigsten.

- Präpubertäre vaginale Blutungen haben viele Ursachen und erfordern eine gezielte Anamnese und eine Untersuchung des pädiatrischen Urogenitalsystems.

- Die meisten Patientinnen mit Hymenalatresie stellen sich in der Adoleszenz mit Bauchschmerzen und Amenorrhö vor. .

- Die Diagnose einer Ovarialtorsion bei Kindern ist eine Herausforderung. Es wird zunächst oft an eine Appendizitis gedacht.


Dr. Neli Semrl, MSc ist an der Abteilung für Geburtshilfe der MedUni Graz tätig.

Die Originalpublikation „Kindergynäkologische Notfälle“ ist erschienen in „Gynäkologie in der Praxis“ 2/2024 © Springer Verlag

Metadaten
Titel
Notfall in der Kindergynäkologie
Publikationsdatum
21.01.2025