In alten Tagen, ehe das Auto unser Leben dominierte, lagen Hausberge in fußläufiger Umgebung eines Dorfes oder einer Stadt und nicht 90 Fahrminuten entfernt. Daher sind Kahlenberg und Küniglberg eher zu den Wiener Hausbergen zu zählen als Rax, Semmering und Schneeberg, aus Sicht des Puristen jedenfalls.
Wiens Waldgebirge. Zwischen der Idylle am Nordrand der Stadt und dem Bau der Höhenstraße liegen 30 Jahre. Binnen einer Generation wurden die längst nicht mehr kahlen Kuppen des Kahlengebirges, von denen 1683 das Entsatzheer auf die türkischen Belagerer herabgestoßen war, für motorisierte Ausflügler erschlossen.
Terra Incognita e.V. / picture-alliance
Das bis heute gültige Standardwerk von Hubert Peterka und Willi End aus dem Jahr 1964 sagt, was ein Wiener Hausberg ist, und zwar im Untertitel: „Wanderungen und Bergfahrten zwischen Peilstein und Rax, Leithagebirge und Ötscher“. Sie werden sich fragen: Was haben diese Erhebungen mit der Wienerstadt zu tun?
Eine Generation früher war das noch etwas anders. Ein Mitglied der Wiener Hausberge war damals zum Beispiel der Kahlenberg, der Leopoldsberg und deren großgewachsener Cousin, der Hermannskogel –, der mit 544 m über Adria in die montane Stufe hineinragt und den Anspruch geltend macht, tatsächlich ein „Berg“ zu sein.
Der Kulturwissenschaftler Matthias Marschik und der Journalist Edgar Schütz machen sich auf, die Ehre der „echten“ Wiener Berge, zu denen der Wiener Berg ebenso gehört wie der Küniglberg, wenn nicht zu retten, so doch in ihre alten Rechte einzusetzen.
Wer Wien mit dem Auto, zu Fuß, dem Rad oder der Tramway – ein Wort meiner Großmutter, das ich mag, und weil heute auch keiner mehr „Bim“ sagt wie in den 1980ern – durchquert, wird vielleicht in der Berggasse oder auf dem Nasenweg kurz stutzig, aber generell merkt man Wien seinen hügeligen Charakter nicht an.
Wien ist, da wagen sich die Autoren aus der Deckung, auf 100 Hügeln erbaut. Aber man merkt es nicht. Nehmen sie zum Beispiel die Spinnerin am Kreuz, die am Wiener Berg thronte, einst ein markanter Punkt inmitten einer kahl gefressenen Weidelandschaft mit tiefen Wagenspuren. Heute: Irgendein Denkmal, an dem der Verkehr vorbeirauscht.
Der erst 1900 verbaute Küniglberg, zwischen Rotem Berg und Rosenhügel gelegen, überragt den alten Talort Lainz und die seit Urzeiten begangene Straße „am Rand des Gebirges“, die auf Höhe der Kennedybrücke (eine Furt des Wienflusses) von der Ausfallstraße nach Westen Richtung Süden abzweigte und über Baden nach Neunkirchen führte.
„Als niedrigster Berg Wiens gelten jedenfalls der Laurenzerberg, das vom Fleischmarkt in Richtung Schwedenplatz und Donaukanal abfallende Terrain in der Wiener Innenstadt, sowie der Konstantinhügel mit jeweils 170 Metern“, schreiben die beiden Autoren. Letzterer ist ein Sonderfall. Er entstand aus dem Aushub der Rotunde.
Ist der Hermannskogel der höchste „Wiener“, so ist der 488 Meter hohe Kahlen„berg“ sicher die bekannteste Erhebung, den wohl die meisten Städter schon einmal bezwungen haben – „über die Höhenstraße lässt sich das ja auch motorisiert bewerkstelligen“. Der Kahlenberg, der bis ins 17. Jahrhundert Sauberg hieß, wurde früh für den Ausflugstourismus entdeckt. Die anlässlich der Wiener Weltausstellung 1873 gebaute Zahnradbahn wurde zwar 1925 schon wieder abgetragen, aber vielleicht gehört sie gerade wegen ihrer kurzen Lebensdauer seither zur Wiener Folklore. Revitalisierungspläne eingeschlossen.
Noch kürzer, nur drei Jahre, war eine Standseilbahn in Betrieb. Sie erschloss die Almlandschaft der Sophienalpe. Ihre Talstation lag in der Nähe der Rieglerhütte. Die Bahn war 682 m lang und überwand eine Höhe von 108 m. Sie wurde 1881 wieder abgebaut. Der Stadtwanderweg 8 erschließt dieses Gebiet, berührt Sophienalpe und Rieglerhütte – und macht die Steilheit des Geländes nachvollziehbar, die einst die Grundlage für die kühnen Erschließungspläne lieferte.
Matthias Marschik, Edgar Schütz Wien und seine Berge. Weltstadt mit vielen Höhepunkten. Edition Winkler Hermaden 2024, 132 S., Hardcover, 26,90 Euro, ISBN 978-3-9519762-5-9.
Edition Winkler-Hermaden
Die Rieglerhütte wurde übrigens als Sommersitz für den Kaiser und seine Mutter errichtet – auch das erfährt man in dem kurzweilig geschriebenen Büchlein „Wien und seine Berge“. Dieses besticht gerade durch die provokante Verwendung des Wortes „Berg“ im Zusammenhang mit Wien. – Fragen Sie doch mal Ihre Tiroler Freunde auf Wien-Besuch!
Richtig eindrucksvoll wird es aber, wenn die beiden Wien-Insider Bilder von der jungen Höhenstraße aus den 1930er-Jahren präsentieren. Die damals schon veraltete Pflasterung kontrastiert mit der modernen Beleuchtung und dem hell erleuchteten Kahlenberg-Ensemble, mit Restaurant und dem 1962 angeschlossenen Hotel. Und endlich erfahre ich auch, woher der seltsame Name Krapfenwaldl stammt: von Kriegsrat Franz Joseph Krapf, der sich hier im 18. Jahrhundert ein Waldhaus errichten ließ, wie die beiden Autoren berichten. Das Krapfenwaldl beherbergte übrigens Wiens erstes Oben-ohne-Bad (ab 1979).
Der kleine Bruder des Kahlenbergs, der Leopoldsberg (423 m) – unter Biologen seit jeher höher geschätzt – trug seinerseits die längste Zeit den Namen Kahlenberg. Wegen der Steilheit seiner Nordflanke, der „Nase“ – die Bäume neigen hier zu Krüppelwuchs oder kommen an ihre ökophysiologischen Grenzen – war das ein guter Name. Mit dem Bau der Leopoldskirche Ende des 17. Jahrhunderts war es damit vorbei, ab da sprach man vom Leopoldsberg.
Was noch? Ach ja – wenn Sie die Höhenstraße mit dem Rad erklimmen und das Gefühl haben, hier nicht erwünscht zu sein – Sie haben ja so recht! Das ist eine Straße für Autos, nicht für Sie.