Wenn es um die Entstehung und die Behandlung hormoneller Dysbalancen geht, wird ein Organ in seinem Einfluss häufig unterschätzt – der Darm!
Eine Störung im Haushalt bestimmter Mikroorganismen kann Enzymaktivitäten beeinträchtigen, die für die Regulierung des Estrogenspiegels zuständig sind.
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Die Nervenzellen im Gastrointestinaltrakt bilden ein komplexes Geflecht – über die Darm-Hirn-Achse tauschen sich die beiden Organe bilateral aus. Wer nun meint, Gehirn und Darm seien in trauter Zweisamkeit vereint, der irrt sich gewaltig.
In Wirklichkeit erfolgt die Kommunikation über ein geschäftiges Gruppenkuscheln. Mit an Bord ist eine Billionen starke Mikroben-Gesellschaft: Als eines der vielen Systeme, die den Körper steuern, ist sie eng mit dem endokrinen System verbunden. Fakt ist: Eine ganze Reihe von Hormonen wird im Darm produziert – und zwar in Abhängigkeit von der Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms.
Depressionen durch Stoffwechselveränderungen
Die Intestinalflora kommuniziert mit dem Gehirn über drei Hauptwege – den neuralen Weg über den Vagusnerv, den immunologischen sowie den endokrinen Weg. Eine Schlüsselrolle bei der Informationsübertragung spielen aus dem Darm stammende Metaboliten. Diese beeinflussen das zentrale Nervensystem, indem sie lokal auf das enterische Nervensystem wirken oder in den Blutkreislauf gelangen und so Auswirkungen auf das Gehirn haben
Ist die Artenvielfalt der Darmbakterien reduziert und/oder überwiegen pathogene Keime, kann es zu subklinischen Entzündungen kommen. Die dabei freigesetzten Zytokine haben nicht nur Einfluss auf Immunzellen, sondern auch auf diverse Stoffwechselwege. „Entzündungsprozesse aktivieren das Enzym Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO)“, erklärt Dr. Christian Matthai, Facharzt für Endokrinologie sowie Ernährung-, Sport- und Vitalstoffmediziner. Erhöhte IDO-Aktivitäten sind weder der Stimmung noch dem erholsamen Schlaf zuträglich. Aus gutem Grund: „Das Enzym trägt zum Abbau der Aminosäure L-Tryptophan bei“, so Matthai. Tryptophan steht als Vorläufer für die Bildung des Serotonins in den enterochromaffinen Zellen zur Verfügung. Dieser inhibitorische Neurotransmitter – unser „Glückshormon“ schlechthin – ist gleichzeitig die Vorstufe von Melatonin.
Beim Tryptophanabbau durch IDO entsteht Kynurenin, das in weiteren enzymatischen Schritten in eine Vielzahl von Metaboliten umgewandelt wird, die alle im Nerven-system wirksam sind. Kynurenin ist nicht nur ein Immunmodulator, sondern auch die Ausgangssubstanz depressionsfördernder Botenstoffe. Diagnostisch relevant ist die Kynurenin/ Tryptophan-Ratio. Eine relative Erhöhung von Kynurenin findet sich häufig bei Patientinnen und Patienten mit Adipositas, metabolischem Syndrom, Burnout sowie Depressionen..
Estrobolom: bakterielle Besiedelung und Estrogene
Für eine gut funktionierende Darm-Hirn-Achse ist eine intakte Darmschleimhaut unerlässlich. „Wir wissen mittlerweile, dass die Produktion bestimmter Hormone wie Schilddrüsenhormone und Progesteron davon abhängt“, weiß Hormonexpertin Dr. Katharina Maria Burkhardt. Die Nebennierenaktivität hänge wiederum von der Besiedelung der Flora ab.
Ein zentrales Thema der Zukunft ist gewiss das Estrobolom – also jener Teil an Mikroben, der an der Regulation des Estrogenspiegels beteiligt ist. Dazu gehören primär Vertreter der Spezies Bacteroides, E. Coli und Peptostreptokokken. Eine Störung im Haushalt dieser Mikroorganismen kann die Aktivität des Enzyms ß-Glucoronidase beeinträchtigen, welches für die Regulierung des Estrogenspiegels zuständig ist. Die Folge: Eine Unter- respektive eine Überversorgung mit freiem Estradiol.
Neben Endometriose können daraus auch Erkrankungen wie das Polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) – die häufigste Hormonstörung bei Frauen im gebärfähigen Alter – resultieren. Dieses führt vor allem zu einer Überproduktion an Androgenen. Matthai zufolge ist die PCO-Problematik weit verbreitet. „Die Modulation der gestörten Darmflora kann hier eine effektive Therapieoption darstellen“, betont der Endokrinologe.
Hormon- durch Nährstoffmangel
„Entzündungen und bakterielle Fehlbesiedelungen des Darms beeinträchtigen auch die Resorption von Nährstoffen“, nennt Burkhardt ein weiteres Problem einer Darmdysbiose. Mikronährstoffdefizite können wiederum zu tiefgreifenden Veränderungen der neuroendokrinen Regulation führen. Ein Circulus vitiosus.
Der Hintergrund ist, dass viele Hormone über Enzyme reguliert werden. Enzyme benötigen für ihre katalytische Aktivität Co-Faktoren in Form von Mikronährstoffen. „Für die Umwandlung von Tryptophan zu Serotonin sind Magnesium, Vitamin B6, Folsäure, Vitamin B12 und Zink erforderlich“, nennt Matthai ein Beispiel. Mangelzustände können nachweislich die Entstehung von Fatigue und depressiven Symptomatiken fördern. Andersrum bessern sich dahin gehende Beschwerden, wenn Lücken in der Nährstoffversorgung durch eine gezielte Supplementierung geschlossen werden.
Nährstoffe tragen auch dazu bei, inflammatorische Prozesse einzudämmen. Matthai: „Antientzündlich wirkt beispielsweise Vitamin D3, Zink und Selen, aber auch Pflanzenextrakte wie Quercetin oder Kurkuma.“ Vor allem die sehr häufig vorkommende Unterversorgung mit den Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA sollte stärker beachtet werden.
Laut dem Ernährungsmediziner besteht bei vielen Menschen ein Ungleichgewicht zwischen Omega-3- und Omega-6-Fetten in der Ernährung – das bewirkt einen Anstieg an entzündungsauslösenden Stoffen wie Prostaglandinen und Leucotrienen im Körper. Sinnvoll kann eine anti-inflammatorische Therapie sein sowie – neben der Ernährungsumstellung – auch der Einsatz hochwertiger Omega-3Präparate als Ergänzung.
"Die Produktion vieler Hormone hängt von einer intakten Darmschleimhaut ab." Dr. Katharina Maria Burkhardt Netzwerk für bioidente Hormone
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"Nährstoffe tragen dazu bei, entzündliche Prozesse einzudämmen." Dr. Christian Matthai, Endokrinologe
Harald Eisenberger