The gift of time – Früherkennung von Typ-1-Diabetes

Mehr als 100 Jahre ist es her, seitdem Banting & Best Insulin aus tierischen Bauchspeicheldrüsen isolierten und damit den Grundstein der modernen Diabetes-Therapie legten [1]. Ein Sprung in die Gegenwart zeigt, dass diese Errungenschaft nichts von ihrer damaligen Bedeutung verloren hat – im Gegenteil. Hochrechnungen zufolge wird die Zahl der Patient:innen mit Typ-1-Diabetes (T1D) bis 2040 auf weltweit 17,4 Millionen ansteigen [2]. Auch in Österreich und anderen europäischen Ländern nimmt die Diabetesinzidenz zu, wobei der Verlust an zu erwartender Lebenszeit umso höher ist, je früher sich T1D manifestiert [3,4]. Um dieser Herausforderung begegnen zu können, schlägt die International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD) in ihren 2024 veröffentlichten Clinical Practice Consensus Guidelines konkrete Strategien zu Screening, Staging und dem Erhalt der Betazellfunktion bei Kindern und Jugendlichen vor [5]. T1D im Wandel 16 Jahre. So viel Lebenszeit verlieren Kinder, wenn sie innerhalb der ersten zehn Lebensjahre einen T1D entwickeln (laut Analyse des Nationalen Diabetes Register Schwedens) [4]. „Unser jetziges Krankheitsmodell geht davon aus, dass die insulinproduzierenden Betazellen nach einer vorausgehenden Antigenpräsentation von Zellen des Immunsystems erkannt und eliminiert werden. Der autoimmun-getriggerte Verlust der Betazellfunktion passiert aber nicht über Nacht. Es können Jahre vergehen, bis ein immunologisch bestätigter asymptomatischer T1D symptomatisch wird“, sagt Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Sabine Hofer vom Department für Pädiatrie 1, Medizinische Universität Innsbruck [6]. Der Schlüssel zur Früherkennung liegt demnach in den vom Körper produzierten Autoantikörpern (AAK) (s. Kasten) [7]. Ziegler et al. konnten bei Kindern mit einem Risiko für T1D zeigen, dass der Großteil der Kinder, die ≥2 AAK aufweisen, aber nicht alle, im Lauf der nächsten 15 Jahre an T1D erkranken [8]. Bestimmte AAK-Kombinationen beschleunigen diesen Prozess (z.B. IAA + IA2) [8-9]. × Screening von T1D In der multizentrischen TEDDY-Studie wurden Säuglinge mit den HLA-DR-Hochrisiko-Genotypen DR3/4, DR4/4, DR4/8 und DR3/3 regelmäßig auf AAK untersucht [10]. Ihren Höhepunkt erreichte die AAK-Serokonversion zwischen dem 9. und 12. Lebensmonat [11]. Diese Beobachtung machte man auch in der BABYDIAB- Studie [12]. IAA entstehen dabei tendenziell früher als GAD-, IA2- und ZnT8-AAK [11,12]. Am deutlichsten trat die Serokonversion bei Kindern mit den Hochrisiko-HLA-Genotypen DR3/4-DQ8 oder DR4/4-DQ8 zutage [12]. „Nun stellt sich die Frage: Welches Alter ist für ein AAK-Screening geeignet? Mehr als 80% aller Kinder und Jugendlichen mit T1D sind vor dem 6. Lebensjahr AAK-positiv, und die meisten Hochrisikokinder machen einen Wechsel von einer einfachen auf eine mehrfache AAK-Positivität innerhalb von zwei Jahren nach der ersten Serokonversion durch. Die beste Sensitivität für ein einmaliges Screening besteht im Alter von vier Jahren mit 40% und für ein zweimaliges Screening im Alter von zwei und sechs Jahren mit 82%“, erläutert Univ. FÄ Priv.-Doz. Dr. Maria Fritsch, klinische Abteilung für allgemeine Pädiatrie, Medizinische Universität Graz [12-14]. Wen und warum screenen wir? Naheliegend ist der Ansatz, alle Kinder mit einer genetischen Risikokonstellation und einem familiären Risiko zu screenen. Allerdings haben 90% eine negative Familienanamnese [15]. „Ein Allgemeinbevölkerung/ Populationsbezogenes Screening ist daher zielführender“, so Fritsch [15]. Die bayrische Fr1da-Studie etwa screente über 90.000 Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren auf AAK, von denen 0,3% ≥2 AAK hatten und einer wohnortnahen Diabetesversorgung zugewiesen wurden [16]. Die pan-europäische offene T1D-Screening- Plattform EDENT1FY evaluiert zurzeit den psychosozialen, medizinischen und ökonomischen Einfluss des Screenings für T1D in unterschiedlichen Gesundheitssystemen und Populationen, um in Zukunft Biomarker und ihre Vorhersagekraft zu verbessern [17]. Ein unmittelbar therapeutisches Ziel ist es, die zuletzt gestiegene Rate diabetischer Ketoazidosen (DKA) zu verringern [18]. DKA sind die führende Todesursache bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit T1D und ein unabhängiger Prädiktor für schlechtere glykämische Langzeitkontrolle [19,20]. Früh erkannter T1D war in zahlreichen Studien mit einer signifikant reduzierten DKA-Rate und Kostenersparnis assoziiert [11,16,21-25]. „Ein Screening ist also nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll“, sagt Fritsch. Staging von T1D Wie weiter vorzugehen ist, steht im ISPAD-Konsensuspapier [5]. Ist das Kind asymptomatisch und ein AAK positiv, spricht man von „at risk“ für T1D [5]. In diesem Fall sollen die AAK bei Kleinkindern ≤ 3 Jahre in halbjährlichen Abständen für drei Jahre kontrolliert werden (Evidenz Grad B) [5]. Bei > 3 Jahren wird eine jährliche AAK-Messung für drei Jahre empfohlen (Evidenz Grad C) [5]. Metabolische Kontrollen sollen bei Kindern ≤ 3 Jahre alle drei Monate, bei Kindern zwischen 4-9 Jahren alle sechs Monate und darüber alle zwölf Monate erfolgen (Evidenz Grad B) [5]. „Je jünger die Kinder, desto höher die Frequenz der Kontrolluntersuchungen“, betont Hofer [5]. Sobald ≥ 2 AAK positiv sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen manifesten T1D 75% in den nächsten fünf Jahren und 100% im Laufe des Lebens [5]. Dann beginnt das eigentliche Staging [5]. Stage 1 umfasst einen normalen Blutzucker und fehlende Symptome [5]. Bei Stage 2 beginnt sich der Blutzucker pathologisch zu verändern [5]. Kinder in Stage 3 entwickeln aufgrund des fortgeschrittenen Betazellverlusts schließlich klinische Symptome wie Polyurie, Polydipsie und DKA [5]. Quelle: 62. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ); Symposium: The Gift of Time – Früherkennung und Screening von Typ- 1-Diabetes, 04. Oktober 2024, Bregenz (Präsenz). Referenzen: 1. Banting FG et al. Can Med Assoc J. 1922;12(3):141-6. 2. Gregory GA et al. Lancet Diabetes Endocrinol. 2022;10(10):741-760. 3. Nagl K et al. Endokrinol. Diabetol. Stoffw. 2024; 17:9– 14. 4. Rawshani A et al. Lancet. 2018; 392(10146):477-486. 5. ISPAD. Clinical Practice Consensus Guidelines 2024. Unter: https://cdn.ymaws.com/www.ispad.org/resource/ dynamic/forums/2024081_105834_31614.pdf. Zuletzt abgerufen: 10.10.2024. 6. Arvan P et al. Cold Spring Harb Perspect Med. 2012; 2(8):a007658. 7. Kawasaki E. Int J Mol Sci. 2023; 24(12):10012. 8. Ziegler AG et al. JAMA. 2013 ;309(23):2473-9. 9. Bingley PJ et al. Diabetes Care. 2018; 41(4):653-661. 10. Krischer JP et al. Diabetologia. 2015; 58(5):980-7. 11. Lernmark et al. J Intern Med. 2023; 294:145–158. 12. Ziegler AG et al. Diabetologia. 2012; 55(7):1937-43. 13. Bonifacio E et al. Diabetes Care. 2021; 44(10):2260–8. 14. Ghalwash M et al. Lancet Diabetes Endocrinol. 2022; 10(8):589-596. 15. Karges B et al. Diabetes Care. 2021; 44(5):1116-1124. 16. Ziegler AG et al. JAMA. 2020; 323(4):339-351. 17. IHI. EDENT1FY. Unter: https://www.ihi.europa.eu/projects- results/project-factsheets/edent1fi. Zuletzt abgerufen: 10.10.2024. 18. Nagl K et al. Front Pediatr. 2022; 10:820156. 19. Glaser N et al. Pediatr Diabetes. 2022; 23(7):835-856. 20. Duca LM et al. Diabetes Care. 2017; 40(9):1249-1255. 21. Barker JM et al. J Clin Endocrinol Metab. 2004; 89(8):3896-902. 22. Winkler C et al. Pediatr Diabetes. 2012; 13(4):308-13. 23. Mattila M et al. Am J Clin Nutr. 2024; 119(2):537-545. 24. Karl FM et al. Diabetes Care 2022; 45:837–44. 25. McQueen RB et al. Diabetes Care. 2020; 43:1496-1503. MAT-AT-2400781-1.0-11/2024

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