Lange bevor Rom erbaut wurde, entstanden Wörter, die wir, in abgewandelter Form, noch immer verwenden. Man sieht es ihnen nicht an, aber sie sind Musik in den Ohren von Feinspitzen.
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Wenn wir miteinander sprechen, verwenden wir Wörter – einige sind aus der Mundart, andere hochsprachlich. Hin und wieder unterhalten wir uns über den Bedeutungswandel, den ein Wort durchgemacht hat. So wird heute das Verb „hassen“ für jede Form von Ablehnung – eigentlich missbräuchlich – verwendet.
Wir diskutieren vielleicht sogar die Herkunft eines Wortes und finden das interessant. Oder wussten Sie, dass die Donau, der zweitgrößte Strom Europas, zwar schon bei Cäsar im „Gallischen Krieg“ als „Danubius – von keltisch Danuvius – erwähnt wird, man aber damals nur den Ober- und Mittelabschnitt so bezeichnete? Der Unterlauf ab dem Eisernen Tor hieß Ister bzw. Hister, ein indogermanischer Ausdruck, der „sich heftig, schnell bewegen“ bedeutet. Auch das Wort „Donau“ beruht letztlich auf einem indogermanischen Wort für „Fluss, Flüssigkeit“.
Indogermanische bzw. indoeuropäische Wörter lassen sich in unseren Breiten immerhin über 3.000 Jahre zurückverfolgen. Doch es gibt Begriffe in unserer deutschen Alltagssprache, die noch älter sind. Diese ältesten Wörter sind Relikte, die von Mund zu Mund gewandert sind, über viele Generationen hinweg, bis in die Gegenwart.
Zu diesen gehört die „Alpe“, die Bergweide, bairisch-österreichische Alm, mundartlich lm. Dahinter steckt ein Wort aus einer Zeit, aus der wir die Namen der Völker und Stämme nicht einmal kennen. Die ursprüngliche Bedeutung war vermutlich „hoher Berg“. Die Ähnlichkeit von „Alpe“ mit dem indogermanischen Wort für „weiß“, von dem sich das lateinische „albus“ ableitet, vermischt mit dem Anblick der schneebedeckten Alpengipfeln und ihrer Gletscher, sorgte schon in der Antike für Verwirrung unter den Gelehrten.
Zwei weitere Wort-Methusalems, je eines aus dem Tier- und Pflanzenreich, führt das „Lexikon deutscher Wörter lateinischer Herkunft“ an ( siehe nebenstehenden Buchtipp ): Gams und Lärche. Für germanistische Feinspitze liefert der Autor Klaus Mackowiak gleich die Ableitung mit:
- Die Bezeichnung der einzigen Antilopenart Mitteleuropas Gämse stammt wahrscheinlich aus einer untergegangenen Alpensprache. Möglicherweise ist Gämse/Gams über spätlateinisch „camox“ (Gams, Gämse) ins Deutsche gelangt, vielleicht aber auch auf direkterem Weg. Vermutet wird bisweilen eine althochdeutsche Nebenform *gamuz,die sich dann über mittelhochdeutsch gam(e)z zu neuhochdeutsch Gams entwickelte.
- Auch die Lärche (mittelhochdeutsch larche, lerche, althochdeutsch lerihha, lerihboum) hat einen lateinischen Ursprung, nämlich gleichbedeutend „larix“. Eine Herkunft aus einer Sprache des Alpengebiets scheint denkbar.
Was die alte Herkunft angeht ist der genügsame Nadelbaum, der bis 2.500 m Seehöhe wächst, jedenfalls gleichwertig. Larix bewahrt wie bei camox (Gams) ein älteres Wort. Die Felsformen der Alpen beflügelten die Fantasie ihrer vorrömischen Bewohner. Einige ihrer Wortschöpfungen existieren bis heute, etwa der Balfen, Palfen (auch Balm oder Palm), was einen Felsvorsprung, einen Felszacken oder auch einen überhängenden Fels bezeichnen kann. Vorsicht ist geboten bei der Deutung: In den außeralpinen Gegenden im Osten Österreichs gibt es Ortschaften oder Fluren, die Palm heißen, zum Beispiel im Pitten-Tal. Hier ist der Name jünger und geht auf eine Verballhornung von „Baier“ zurück, was auf eine bairische Besiedelung im Mittelalter hinweist.
Im frühen Mittelalter entstand auch eine Bezeichnung, die Bewohner eines Bundeslandes heute ihrer jeweiligen Landeshauptstadt zudenken, besonders gern aber auf die Bundeshauptstadt Wien münzen. Ein Wasserkopf – der älteste Beleg stammt aus dem 8. Jahrhundert – war im Althochdeutschen aber noch etwas ganz anderes als heute, schreibt Duden-Sprachberater Mackowiak: Kopf bedeutete nämlich ursprünglich „Becher, Trinkschale“. Es geht wohl auf spätlateinisch cuppa (Becher) zurück, zu lateinisch cupa (Fass, Tonne, Bottich). Im Mittelhochdeutschen wird erstmals der Körperteil, das Haupt, so genannt – vermittelt über die bildliche Vorstellung einer „Hirnschale“. Ob in dieser Schale denn auch Hirn sei, werde in beleidigender Absicht auch gern einmal bezweifelt: „Wer nur Stroh im Kopf hat, befürchtet nichts mehr als einen Geistesblitz. Heute hat sich Kopf (althochdeutsch kupf, kopf) weitgehend gegen das Wort „Haupt“ durchgesetzt.“
Der Autor fragt: „Sind wir nun mit unserem Latein am Ende?“ Durchaus nicht. Eine ganze Menge Latein steckt etwa in Wörtern wie Flegel und Laune, nüchtern und peinlich, torkeln und waten – aber diese Wörter protzen nicht so damit. Solchen Wörtern hört und liest man eigentlich gar nicht an, dass sie aus einer Fremdsprache stammen. Und dennoch: Sie gehen auf das Lateinische zurück.“
Mackowiaks Buch ist wie geschaffen für Wortklauber und Sprachdetektive, mitunter als Beckmesser verunglimpft, aber dann doch immer gern gehört, wenn es bei Partys die Frage auftaucht: „Was bedeutet denn das eigentlich?“
Wenn allerdings der Weg eines Wortes über das Lateinische hinausgeht in frühere Sprachen, wird es kompliziert. Mackowiak ist diesem Weg durchaus gefolgt (wenn er denn erforscht ist), wie etwa bei „metzeln“, das über lateinisch macellum ([Fleisch-]Markt) auf hebräisch mikela (Hürde, Umzäunung) zurückzuverfolgen ist. Eine vergnüglicher Schwimmkurs durch das Meer der Sprachgeschichte.
Klaus Mackowiak: Kann Spuren von Latein enthalten. 174 S., C. H. Beck 2024, 15,50 Euro, ISBN 978-3-406-80855-5