Einleitung
Es mag verwundern, dass sich die psychoanalytische Literatur bisher nur selten dem Liegen auf der Couch und so gut wie gar nicht mit dem Sitzen während analytischer Behandlungen widmete. Sucht man beispielsweise nach Texten zum englischen Schlagwort „lying“ finden sich vornehmlich Schriften über das Lügen in und außerhalb der Kur. Wie kommt es, das etwas, das als so zentral für die Psychoanalyse erachtet wird, so wenig Aufmerksamkeit erfährt?
Die wohl berühmteste Sequenz zur Frage des Sitzens oder Liegens in psychoanalytischen Behandlungen findet sich in Sigmund Freuds Schrift
Zur Einleitung der Behandlung aus 1913. Gerne wird daraus besonders
ein Satz zitiert, der im Original keineswegs für sich steht, sondern Teil einer Gruppe von Motiven, die Freud ausdifferenziert, ist.
„Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden.“ (Freud
1913, S. 467) In der Folge betont Freud die Vorteile des Liegens für Patient:in und Analytiker:in im Hinblick auf Behandlungserfolge.
Nach Freud haben auch Sterba (
1929), Macalpine (
1950), Khan (
1962), and Greenson (
1967) die Bedeutung der Couch für die psychoanalytische Arbeit herausgestrichen, wobei vor allem ihre fördernde Wirkung auf das Assoziation- und Übertragungsgeschehen betont wird.
Außerdem lassen sich, wie Lynn Reiser (
1986) zusammentrug, Arbeiten (vgl. Bibring
1936; Kris
1956; Greenson
1965; Orens
1965; Silber
1977; und Weissman
1977) darüber finden, wie das Liegen der Patient:in, Übertragungen auf unzuträgliche Arten verschärfen kann, weswegen in diesen Fällen dem Blickkontakt und damit dem Sitzen der Patient:in ein beruhigender, die Behandlung unterstützender Effekt zugeschrieben wird. Reiser (
1986) schildert ihren Eindruck, heftigen Übertragungsphänomenen, die im Liegen entstanden sind, durch ein Aufsetzen des Patienten begegnen zu müssen. Damit in Einklang stehen zudem die weitverbreiteten Ideen zur Bevorzugung der Behandlung von psychose-nahen oder psychotischen Patient:innen im Sitzen, gegenüber jener auf der Couch.
Die Bedeutung des Sitzens während der Therapie, vor allem der Möglichkeit, einander zu sehen, lässt sich auch entwicklungspsychologisch argumentieren. Jeremy Holmes (
2012) betont, aufbauend auf den Arbeiten von Kenneth Wright (
1991,
2009), die Zusammenhänge zwischen den visuellen Aspekten der frühen Eltern-Kind-Interaktion und jenen der Patient-Therapeut-Interaktion. Er weist darauf hin, dass die kommunikative Funktion des mimischen Affektausdrucks der Therapeut:in theoretisch umfassender behandelt werden sollte. Und weiters, dass ein besseres Verständnis darüber, wie Eltern und Kinder sehr früh Affekte und Bedeutung mimisch kommunizieren, erweiterte Kenntnisse über die Art, wie Therapeut:innen ihren Patient:innen helfen, Emotionen zu identifizieren und die Selbstwahrnehmung zu stärken, ermöglichen könnte. Die Hypothese, dass auch die mimische Interaktion, die untrennbar mit dem Affektgeschehen verbunden ist, ein zentrales Element für den Beziehungsaufbau zu Behandlungsbeginn und darüber hinaus darstellt, konnte auch in empirischen Arbeiten (vgl. Datz et al.
2019,
2020, Bänneringer-Huber
2021) nachgewiesen werden.
Die Zusammenschau der Arbeiten zur Bedeutung des Liegens und der Notwendigkeit, davon abzuweichen, ergibt ein durchaus ausgewogenes Bild von Setting-Elementen, die Patient:in und Therapeut:in zur Verfügung stehen und mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen genutzt werden können. Nichtsdestoweniger scheint der Arbeit im Sitzen etwas Pejoratives anzuhaften. Oftmals entsteht in fachlichen Vorträgen und Diskussionen, aber auch in kulturellen Darstellungen, der Eindruck, die Couch oder das Liegen SEI die Psychoanalyse selbst. Psychoanalyse „in Sinne Freuds“, das bedeute, auf der Couch zu liegen. Dementsprechend wird der Arbeit mit sitzenden Patient:innen also etwas nicht-psychoanalytisches zugeschrieben. Als handle es sich um eine Art notwendiges Übel, ein Ausweichmanöver, eine Notlösung (Eine konträre Position findet sich bei Searles
1984–1985).
„… acht Stunden (oder länger) vom anderen angestarrt zu werden.“
Im Folgenden soll die bereits erwähnte Stelle aus Freuds
Zur Einleitung der Behandlung umfassender beleuchtet werden, um Ideen darüber zu prüfen, welche Gründe es für die durchaus hartnäckige Hierarchisierung des Liegens über das Sitzen im psychoanalytischen Behandlungszimmer geben könnte.
„Ehe ich diese Bemerkungen zur Einleitung der analytischen Behandlung beschließe, noch ein Wort über ein gewisses Zeremoniell der Situation, in welcher die Kur ausgeführt wird. Ich halte an dem Rate fest, den Kranken auf einem Ruhebett lagern zu lassen, während man hinter ihm, von ihm ungesehen, Platz nimmt. Diese Veranstaltung hat einen historischen Sinn, sie ist der Rest der hypnotischen Behandlung, aus welcher sich die Psychoanalyse entwickelt hat. Sie verdient aber aus mehrfachen Gründen festgehalten zu werden. Zunächst wegen eines persönlichen Motivs, das aber andere mit mir teilen mögen. Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden. Da ich mich während des Zuhörens selbst dem Ablauf meiner unbewußten Gedanken überlasse, will ich nicht, daß meine Mienen dem Patienten Stoff zu Deutungen geben oder ihn in seinen Mitteilungen beeinflussen. Der Patient faßt die ihm aufgezwungene Situation gewöhnlich als Entbehrung auf und sträubt sich gegen sie, besonders wenn der Schautrieb (das Voyeurtum) in seiner Neurose eine bedeutende Rolle spielt. Ich beharre aber auf dieser Maßregel, welche die Absicht und den Erfolg hat, die unmerkliche Vermengung der Übertragung mit den Einfällen des Patienten zu verhüten, die Übertragung zu isolieren und sie zur Zeit als Widerstand scharf umschrieben hervortreten zu lassen. Ich weiß, daß viele Analytiker es anders machen, aber ich weiß nicht, ob die Sucht, es anders zu machen, oder ob ein Vorteil, den sie dabei gefunden haben, mehr Anteil an ihrer Abweichung hat.“ Freud
1913, S. 467
Bevor das Zitat im Detail betrachtet werden soll, kann Freud an dieser Stelle so zusammenfasst werden: Der Rahmen der psychoanalytischen Behandlung als Zeremoniell wird betont. Freud empfiehlt, die liegende Patient:in außerhalb deren Sichtfeldes, sitzend zu behandelt. Dieses Vorgehen entstamme den hypnotischen Behandlungen, bei welchen Freud hinter den liegende Patient:innen Platz nahm, um ihnen, zum gegebenen Zeitpunkt, an entsprechenden Stellen, auf den Kopf zu drücken. An dieser Positionierung von Patient:in und Therapeut:in gelte es festzuhalten, Motive gäbe es mehrere. Als allererstes dieser wird ein persönliches genannt. „Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden.“ Ohne weitere Überleitung oder Distinktion folgen dann Begründungen im Sinne der psychoanalytischen Behandlungstechnik.
Diese technisch motivierten Argumente sollen nun zuerst beleuchtet werden.
„Da ich mich während des Zuhörens selbst dem Ablauf meiner unbewußten Gedanken überlasse, will ich nicht, daß meine Mienen dem Patienten Stoff zu Deutungen geben oder ihn in seinen Mitteilungen beeinflussen.“ (Freud 1913, S. 467) Von diesem Punkt war schon die Rede. Das Liegen fördere die Assoziation der Patient:innen, der Blick auf die Analytiker:in und deren Mimik könnten sie hemmen.
Weiters: „Der Patient faßt die ihm aufgezwungene Situation gewöhnlich als Entbehrung auf und sträubt sich gegen sie, besonders wenn der Schautrieb (das Voyeurtum) in seiner Neurose eine bedeutende Rolle spielt. Ich beharre aber auf dieser Maßregel, welche die Absicht und den Erfolg hat, die unmerkliche Vermengung der Übertragung mit den Einfällen des Patienten zu verhüten, die Übertragung zu isolieren und sie zur Zeit als Widerstand scharf umschrieben hervortreten zu lassen.“
Hier bezieht sich Freud auf die Idee, dass sich die Übertragung im Liegen unkomplizierter vom Widerstand abstrahieren lässt. Im Liegen ist eindeutiger festzumachen, dass die Patient:in beispielsweise ein verärgertes Gesicht der Analytiker:in fantasiert, während es im Sitzen leichter fällt, zu behaupten, man habe diesen Gesichtsausdruck tatsächlich wahrgenommen.
Dieses Verständnis von Übertragung und ihre Bedeutung für die psychoanalytische Arbeit hat sich in den letzten über hundert Jahren stark gewandelt. Die Couch wird immer noch als übertragungsfördernd verstanden, jedoch wird die Übertragung nicht mehr derartig scharf von den Einfällen der Patient:in unterschieden, sondern als Lieferant von gleichwertig aufschlussreichem, unbewusstem Material gedeutet und behandelt.
Noch einmal zusammengefasst: Freud nennt insgesamt vier Motive für die Verwendung der Couch in der psychoanalytischen Arbeit.
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Erstens ein historisches (und technisches).
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Zweitens ein persönliches.
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Drittens, die Beeinflussung der Patient:in durch die Mimik der Analytiker:in, die sich ihren eigenen unbewussten Prozessen hingibt, soll vermieden werden.
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Viertens sollen Übertragung (Widerstand) und Einfälle der Patient:in klarer unterscheidbar, der Widerstand hierdurch besser deut- also auflösbar sein.
„Ich vertrage es nicht …“
Nun soll der Idee Raum gegeben werden, dass in der rezenten Auseinandersetzung mit der Couch oder dem Behandlungssessel als Teil des Settings, die Bedeutung von Freuds zweitem Argument, man könnte sagen, vorbewusst zwar anerkannt (beispielsweise viel zitiert), bewusst aber unterschätzt wird. Dabei soll nicht gegen die Arbeit im Liegen argumentiert werden, das Anliegen besteht darin, die jedenfalls öffentliche Präferenz und Überordnung der Arbeit im Liegen über jene im Sitzen, zu untersuchen.
Freud war das Persönliche an seiner Motivation so wichtig, dass er es nicht nur explizit benannte, sondern sogar beinahe an die erste Stelle setzte. Er hätte auch darüber schweigen können und allein die technische Notwendigkeit der „Ruheliege“ betonen. Doch möglicherweise deutet auch die Formulierung „Ich vertrage es nicht“ auf eine starke Bedeutung hin. Nicht „ich bevorzuge“, sondern „ich vertrage es nicht“. Diese klaren Worte legen nahe, dass das Acht-Stunden-täglich-von-anderen-angestarrt-werden etwas Unerträgliches mit sich bringt.
Das persönliche Motiv nimmt jedoch im weiteren Verlauf der Argumentation vergleichsweise wenig Raum ein, stützt sich diese doch überwiegend auf die Vorteile der Arbeit im Liegen für die Patient:innen. So spricht sich Freud in der Folge dafür aus, den Voyeurismus der Patient:in, unbefriedigt zu lassen. Diese Idee steht im Einklang mit dem Abstinenzkonzept, welches er beispielsweise in seinem Aufsatz
Wege der psychoanalytischen Therapie (
1919a [1918]) genauer ausführt und betont. Dort schreibt Freud „Die analytische Kur soll, soweit es möglich ist, in der Entbehrung -Abstinenz- durchgeführt werden.“ Dies soll vor allem zwei Gefahren vorbeugen: nämlich jener, dass sich die Patient:in Ersatzbefriedigungen sucht, indem sie mit anderen Personen erlebt, was sie sich von der Analytiker:in wünscht oder die Ersatzbefriedigung für Versagungen des Lebens in der Übertragungsbeziehung zur Analytiker:in findet.
Die Analytiker:in steht demnach bei der Einhaltung des Abstinenzprinzips ganz im Dienst der Patient:in. Sie nimmt eigene Versagungen auf sich und erträgt die oft schmerzhafte und mit Vorwürfen verbundene Frustration der Patient:in, um ihr die bestmögliche Kur anbieten zu können. In dieser Perspektive auf die Idee und Praktik der Abstinenz in der psychoanalytischen Arbeit bleiben die Befriedigungen, die diese für die Analytiker:in haben kann, ausgespart. Wieder der Verweis auf Freud, der einräumt, es nicht zu ertragen, den Blicken der Patient:innen ganztägig ausgesetzt zu sein. In der psychoanalytischen Literatur und ihrer Praxis finden sich Hinweise auf den Zusammenhang von Blick und der Scham (vgl. dazu auch Huppert
2019,
2020), was die Frage aufwirft, ob das Unerträgliche am Betrachtet-werden die Scham ist, die das Gesehen-werden mit sich bringen kann. Davon ahnen unsere Patient:innen vielleicht etwas, wenn sie uns vorwerfen, wir würden uns „hinter der Couch verstecken“ und uns auffordern, doch endlich auch einmal etwas über uns Preis zu geben. „Die Hochhaltung des Abstinenzkonzepts gebietet uns ein solches Versteck“ möchte man sich vielleicht stumm verteidigen. Wir wollen nicht gesehen werden (wollen), eine weiße Leinwand bleiben. Nur ernstgenommen werden, nicht erkannt. Das Gesehen-werden verträgt sich, wie Freud auch schreibt, nicht mit dem ungestörten Einlassen auf die eigenen unbewussten Prozesse. Die Analytiker:in muss also gegebenenfalls alle ihre exhibitionistischen Wünsche unterdrücken, verschieben, hoffentlich nicht projizieren. Im Sitzen wird der Druck auf diese Wünsche erhöht, die Patient:in lädt die Therapeut:in, noch mehr als im Liegen, dazu ein, sich zu zeigen. Sie ist noch eindeutiger Zeuge, eines möglichen Durchblitzens von Affekten oder Eigenheiten der Therapeut:in. Diese muss sich dann noch mehr beherrschen, beziehungsweise sich und der Patient:in einen Umgang mit ihrer unleugbaren Eigenart anbieten. Sie kann sich der Kontrolle der Patient:in weniger entziehen, steht noch genauer auf deren Prüfstand, wenn der Patient:in alle Sinne zur Verfügung stehen, sie wahrzunehmen. Anders im Liegen. Demnach könnte man auch die Idee vertreten, dass die sichtbare Therapeut:in noch leichter Gegenstand des Übertragungsgeschehens werden kann, da sich ihre Anwesenheit, und damit sie selbst, der Wahrnehmung permanent aufdrängen. Es ist also in der sitzenden Behandlung schwieriger, dem Gebot der Abstinenz zu folgen.
Noch heikler wird die Angelegenheit, wenn sich Übertragung und realitätsgetreue Wahrnehmung der Patient:in mischen. Die Therapeut:in hört dann nach einer schlaflosen Nacht vielleicht „Sie sehen so müde aus, langweile ich Sie?“. Ihr obliegt dann der Drahtseilakt, die innere Realität der Patient:in von der äußeren, wie die Köpfe eines siamesischen Zwillings, zu trennen. Dabei ist sie auf besondere Art und Weise auch mit sich selbst konfrontiert und damit – wie in der Folge ausgeführt werden soll – anfälliger für Schamgefühle.
Die psychoanalytische Literatur zur Scham nimmt ihren ausführlichen Ursprung in den Untersuchungen Piers und Singer (
1971), der zeigt, dass die Scham aus der Spannung zwischen dem Ich und dem Ichideal hervorgeht. Das Ichideal stellt das Reservoir unserer frühesten und stärksten narzisstischen Ansprüche dar. Können wir diesen nicht gerecht werden, erzeugt die Spannung zwischen dem was ist und dem was sein soll – die Spannung zwischen Ich und Ichideal – Scham. In der Konsequenz fürchten wir Liebesentzug, Objektverlust sowie eine tatsächliche oder phantasierte Verbannung (Piers und Singer
1971).
Die gesehene, vor allem aber (beispielsweise als müde) erkannte Therapeut:in kann ihrem Ideal der Abstinenz nicht genügen und muss daher fürchten, beschämt und (als unanalytisch) verstoßen zu werden.
Nun ging es bisher darum zu zeigen, dass die Psychoanalytiker:in durch ihre Arbeit im Sitzen und dem damit verbundenen Angestarrt-Werden einem besonderen Risiko ausgesetzt ist, dem Ideal der Abstinenz nicht nachkommen zu können und sich dadurch beschämt zu fühlen.
Dazu ein Fallbeispiel aus einer Behandlung im Sitzen: Eine Patientin überraschte mich nach etwa Dreiviertel einer Stunde, in der sie sich und mich sehr damit geplagt hatte, nicht zu wissen, was in ihr vorgehe, sehr unvermittelt damit, dass Sie von einer meiner privaten Angelegenheiten erfahren hatte. Ich fühlte mich ertappt, überrumpelt, ausgeforscht, beschämt. Wir sahen einander nicht an. Noch unfähig mich zu fragen, woher meine Aufregung rührte, oder was meine Scham bedeutete, wünschte ich mich hinter die Couch, um etwas Ruhe für mich zu haben und fürchtete, die Patientin könnte meine Aufregung erblicken. Die Patientin fuhr fort, indem sie mir erzählt, wie sie davon erfahren habe. Ich spürte ihr Schuldgefühl, ihre Last, mir meine Scham abnehmen zu müssen. Ob dieses Eindrucks erfing ich mich wieder, sprach an, wie schlecht es ihr mit dieser Information gehe und wie schwer es ihr gefallen sei, diese Last mit mir zu teilen. Sie sprudelt (wiederum zu meiner Entlastung, wie ich annehme) vor Einfällen aus der Kindheit. Wir sprachen lange über die Parallelen zwischen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit und dem Erhalt der Information über meine Heirat, was mich entlastet, weil ich uns zurück in der „analytischen Spur“ wähne. Die Patientin wirkte weiterhin angespannt, als müsste sie dringend in ebendiese Spur zurückhasten, unerträglich, das sichere Terrain verlassen zu haben. Die Beschämung, die ich erfuhr, war mehrstufig. Zuerst war es mir unangenehm, dass die Patientin Privates von mir erfahren hatte und dann, dass mir meine Beschämung anzusehen war. Zuletzt ereilte mich noch die Scham nicht abstinent geblieben zu sein und das Erlebte vorwiegend zu agieren.
Die Arbeit mit der sitzenden Patient:in
Nun sind wir also über die Bedeutung der Couch in der Psychoanalyse, über die Abwertung der sitzenden Technik als zweitbeste, zu deren subjektiver Motivation, zur Bredouille des Gesehen- und Beschämt-Werdens der Therapeut:in gelangt. Um den Bogen schließen zu können, wird es notwendig sein, ein letztes Mal auf Freuds Zitat zurückzukommen.
Zuvor aber noch ein kurzer Exkurs zur sitzenden Behandlung und psychoanalytischer Psychotherapie.
Die psychoanalytische Psychotherapie wird nicht nur meistens im Sitzen praktiziert, sie wird, vor allem in der Abgrenzung zur Psychoanalyse vielerorts auch darüber definiert. Die Arbeit im Sitzen orientiert sich auch an einer Stundenfrequenz von ein bis zwei Mal pro Woche, welches gegen die regressionsfördernde Verwendung der Couch spricht. Das Arbeiten im Liegen gebietet, ein höherfrequentes Setting, während die Arbeit im Sitzen nicht an eine Stundenfrequenz gebunden ist. Sie erscheint demnach gelegen, kann aber unangenehm sein, wie dieser Aufsatz darzulegen versucht. Unangenehm daran ist manchen vielleicht auch die Tatsache, dass alle Therapierichtungen, die das Gespräch in den Mittelpunkt der Methodik stellen, dieses im Sitzen führen. Der Psychoanalyse ist es immer wichtig geblieben, sich gegen andere psychotherapeutische Verfahren abzugrenzen. Die psychoanalytische Psychotherapie tut das, schon ihrem Namen nach, aber auch durch die Arbeit im Sitzen, weniger. Sie extrapoliert aus der Psychoanalyse, die neben der Krankenbehandlung, Kultur‑, Gesellschaftstheorie und Metapsychologie umfasst, und ist gewissermaßen die Psychotherapie. Dabei darf diese jedoch nicht entwurzelt werden aus dem, was die Psychoanalyse rund um sie herum bedeutet. Die psychoanalytische Psychotherapie braucht einen starken Theoriebezug und eine unantastbare Verankerung in der Metapsychologie der Psychoanalyse. Nur so kann sie sich reflektieren.
Andre Green (
2000), der gegen die Hierarchisierung von psychoanalytischen Therapien und Psychoanalysen plädiert, betont die Notwendigkeit den inneren Rahmen der Analytiker:in oder Therapeut:in stark zu reflektieren. Dieser umfasst ihre Selbsterfahrung, ihre Analytiker:in, den intervisorischen und supervisorischen Austausch, die theoretische Ausrichtung wie auch die Lektüre. Mit und durch den inneren Rahmen der Therapeut:in, so Green, wird eine Behandlung psychoanalytisch.
Wiewohl der Unterschied zwischen Sitzen und Liegen ein bedeutender ist, ist er nicht in der Lage, darüber zu entscheiden, ob eine Behandlung psychoanalytisch ist oder nicht. Eine Hierarchisierung der unterschiedlichen Zugänge ist auch insofern schädlich, als sie die Gefahr birgt, den Begriff der Psychoanalyse zu isolieren und seine infantile Idealisierung zu begünstigen. Des Weiteren entwertet eine solche Hierarchie die Arbeit im Sitzen, reduziert diese Ausrichtung auf ein Therapieverfahren und löst damit ihr Verhältnis zur Forschung sowie zu den Grundlagen der psychoanalytischen Theorie (also zu Freud) auf. Green (
2000) folgend könnte man behaupten: Das, was eine Behandlung psychoanalytisch macht, ist der innere Rahmen der Analytiker:in. Dieser ist ganz wesentlich von der Metapsychologie geprägt weswegen es für psychoanalytisch arbeitende Therapeut:innen unerlässlich ist, sich stets auf die eigenen theoretischen Fundamente zurückzubesinnen, also sich permanent selbst zu reflektieren.
An dieser Selbstreflexion mag einiges unangenehm sein, womit der grobe Bezug zur Arbeit im Sitzen wiederhergestellt und noch einmal zu Freud zurückgekehrt werden soll. Er schreibt im für diesen Aufsatz zentralen Zitat, davon, dass er es nicht vertrage, von anderen acht Stunden oder länger täglich angestarrt zu werden. „Von wem sonst?“ möchte man da vielleicht fragen. Da man nach den anderen nur mehr selbst in Frage kommt, taucht eine neue Frage auf: Wenn es unerträglich ist, von anderen acht Stunden oder länger angestarrt zu werden, ist es länger oder kürzer zu ertragen, sich selbst zu betrachten? Das Gedankenexperiment, sich acht Stunden oder länger täglich selbst betrachten zu müssen, versinnbildlicht, dass die Selbstreflexion, als eine spezielle Form des Gesehen-Werdens, schwer zu ertragen ist. Wer nicht gern angeschaut wird, schaut sich noch weniger gerne selbst an, könnte eine plumpe Formel lauten. Dazu ein allerletztes Mal Freud im strapazierten Zitat: „Ich beharre aber auf dieser Maßregel“ auch da, so heißt es zuvor, wo die aufgezwungene Situation als Entbehrung erlebt wird und sich etwas gegen sie sträubt.
Diskussion
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit spezifischen Setting- und Technik-Fragen des tiefenpsychologischen Psychotherapie Cluster. Dieses umfasst eine Reihe von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich ursprünglich aus der Hypnose und weiterführend aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds entwickelt haben. Die allumfassende Gemeinsamkeit der tiefenpsychologischen Ansätze kann in der Arbeit am Unbewussten gefunden werden. Ihre Unterschiede sind nicht selten im Zugang zu ebendiesem Unbewussten zu erkennen. Während dieser für die Psychoanalyse in der freien Assoziation gesucht wird, die beispielsweise durch die Arbeit im Liegen gefördert werden soll, möchte er im Katathym Imaginativen Bilderleben über die Imagination erfolgen und in der Hypnose Therapie mittels der hypnotischen Technik gelingen. Über all diesen unterschiedlichen Zugängen zum Unbewussten steht die Theorie über dieses, seine Funktionsweisen und Dynamik. Sie stellt den Kern der tiefenpsychologischen Ansätze dar und gebieten ihren Techniken – so unterschiedlich sie sein mögen – eine ständige selbstreflexive Verankerung in den theoretischen Konzepten vom Unbewussten. Dementsprechend ist nicht das Liegen auf der Couch oder das Sitzen im Sessel selbst psychoanalytisch/tiefenpsychologisch oder eben nicht, sondern das theoriegeleitete Verständnis der Behandler:in darüber, welche Informationen über das Unbewusste der Patient:in durch deren jeweilige Verwendung erschlossen werden können.
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