Ab 2025 werden Patient:innen aus Wien in einer neuen Primärversorgungseinheit mit den Schwerpunkten HIV und Transgender behandelt. Zum Gesellschafterteam zählt eine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Hier erzählen die Expert:innen hinter der PVE, was ihr Zentrum alles bieten soll, aber auch welche Hürden es bis zum Start noch zu überwinden gilt.
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In der breiten Bevölkerung gilt Transgender-Medizin als Randthema, medizinische Angebote sind trotz aktuell hoher Nachfrage rar. Eine der wenigen Anlaufstellen ist die „Teampraxis Breitenecker“ im 6. Wiener Gemeindebezirk, in der Nora Breitenecker, BScN, und Dr. Daniel Uy tätig sind. 2025 soll die Praxis zum Primärversorgungszentrum werden – mit Breitenecker als Mitgesellschafterin. Gesetzlich wurde das durch die Gesundheitsreform 2023 ermöglicht, doch hapere es bei der Umsetzung durch Gesundheitskasse und Ärztekammer, wie Breitenecker und Uy kritisieren.
Ärzte Woche: Wie soll das geplante PVZ ausschauen? Welche Fachbereiche werden abgedeckt?
Nora Breitenecker: Wir werden eine allgemeinmedizinische Ordination mit bestimmten Schwerpunkten sein: Behandlung von Suchtkranken und HIV-Patient:innen, Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) sowie Transgender-Medizin. Es wird vier Gesellschafter geben, Dr. Florian Breitenecker, Dr. Milos Vasiljevic, Dr. Uy und ich. Dazu kommen Vertretungsärztinnen und -ärzte, ein Nurse Team, ein Front- und ein Back-Office. Alles in allem werden wir 50 Personen sein.
Daniel Uy: Das ist das Kernteam. Man muss als PVZ auch andere medizinische Bereiche abdecken als den eigenen. Bereits jetzt arbeiten wir mit dem Verein An.doc.stelle zusammen, das werden wir intensivieren. So können wir unseren Patienten Psychotherapie, Sozialarbeit oder Rechtsberatung anbieten.
Ärzte Woche: In der Bevölkerung gelten HIV und Transgender-Medizin eher als Nischenthemen. Wie groß ist der Bedarf tatsächlich?
Breitenecker: Gerade weil es Nischenbereiche sind, ist der Bedarf sehr, sehr groß. In der Transgender-Medizin gibt es in Wien sonst nur das AKH, das auch Hormonbehandlungen macht, und dessen Ambulanz ist komplett überlaufen. Es gibt monatelange Wartelisten. Die Patienten sind sehr glücklich, dass sie durch uns ein niederschwelliges Angebot bekommen.
Uy: Diese Niederschwelligkeit ist uns sehr wichtig. Die Patienten müssen nicht mehr in ein Krankenhaus, wofür sie viele Überweisungen brauchen und wo sie jedes Mal einem anderen Arzt gegenüber sitzen. Sondern sie kommen zu ihrem Hausarzt, den sie ohnehin regelmäßig sehen und der sie gut kennt.
Ärzte Woche: Wie kam es zur Spezialisierung auf HIV und Transgender-Medizin?
Breitenecker: Mein Bruder, Dr. Florian Breitenecker, war lange in der HIV-Ambulanz im AKH tätig und ist dadurch in Kontakt mit diesen Spezialgebieten gekommen. Er hat dann eine Kassenordination übernommen, sich in Transgender-Medizin weitergebildet und das Angebot der Praxis ausgebaut.
Uy: Wir merken täglich, wie hoch der Bedarf in der Gesellschaft ist. Unsere Praxis wächst mehr und mehr. 2022 kam erstmals der Gedanke auf, ein PVZ daraus zu machen.
Breitenecker: Wir können den Andrang nicht mehr bewältigen. Um das zu ändern, müssten wir einen Aufnahmestopp machen - oder ein PVZ werden. Schon bevor wir die Praxis aufsperren, stehen die Leute im Stiegenhaus Schlange, danach haben sie Wartezeiten von zwei bis drei Stunden. Das ist untragbar. Als PVZ dürfen wir dann zehn Stunden pro Tag für Patienten da sein.
Ärzte Woche: Neben den längeren Öffnungszeiten – welche Vorteile hat ein PVZ noch für Sie?
Breitenecker: Die Räumlichkeiten des Primärversorgungszentrums werden mit insgesamt 450 m² doppelt so groß sein wie die jetzige Praxis. Wir werden mehr Räume haben, mehr Pflegemöglichkeiten und können die Patienten noch besser versorgen.
Ärzte Woche: Wie wird aus einer „normalen“ Ordination ein Primärversorgungszentrum?
Uy: In einem ersten Schritt haben wir uns mit der Ärztekammer in Verbindung gesetzt und besprochen, was zu tun ist. Man muss eine sogenannte „Interessensbekundung“ abgeben, dann wird geschaut, ob im Einzugsgebiet bereits ein PVZ vorhanden ist und wie der Versorgungsschlüssel ausschaut.
Ärzte Woche: Bei Ihnen hat offenbar alles gepasst.
Uy: Im 6. Bezirk gibt es mit der „Medizin Mariahilf“ von Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein bereits ein PVZ, ein zweites war eigentlich nicht geplant. Da wir durch unsere Spezialgebiete aber viele Patienten auch aus anderen Bezirken betreuen und der 6. Bezirk sehr zentral liegt, hat die Ärztekammer zugesagt, uns gegenüber der ÖGK und der Stadt Wien zu unterstützen. Es kam zu einer Ausschreibung wie bei einer Kassenstelle. Wir haben uns beworben, wurden akzeptiert und haben die Zusage für das PVZ bekommen.
Ärzte Woche: Ist das Projekt damit in trockenen Tüchern, wie man so sagt, oder gibt es noch Hindernisse, die der Umsetzung entgegenstehen?
Breitenecker: Ich finde es super, dass Gesundheitsminister Johannes Rauch ( Die Grünen, Anm. ) 2023 die Novelle zum Primärversorgungsgesetz durchgesetzt hat, die es mir ermöglicht hat, Gesellschafterin zu werden. Rauch hat in unserem Bereich bei der Gesundheitsreform überhaupt viel weitergebracht, z. B. die Prä-Expositions-Prophylaxe auf Kasse. Die ÖGK setzt aber leider nicht genug daran, die Novelle zum Primärversorgungsgesetz umzusetzen, und die Ärztekammer macht nicht ausreichend Druck. Wir wären gerne Vorreiter, sind derzeit aber blockiert.
Ärzte Woche: Das Gesetz ist also da, doch es hapert an der Umsetzung?
Uy: Ich hatte schon viele Gespräche mit der ÖGK. Es hieß immer, dass Rechtsanwälte das klären müssten. Ich finde das sehr schade. Es ist immerhin noch nicht sehr bekannt, dass PVZ jetzt multiprofessionell geführt werden können. Beim Ausbau eines PVZ hapert es oft daran, dass sich Ärzte da allein nicht drüber trauen. Wenn man andere Berufsgruppen ins Boot holen kann, ist das ein riesiger Vorteil.
Breitenecker: Wir hoffen, dass das Problem bis zu unserer Eröffnung im ersten Quartal 2025 gelöst ist und ich als Gesellschafterin dabei sein kann. Wir werden den Druck noch einmal erhöhen.
Ärzte Woche: Zurück zu Ihrem medizinischen Angebot. Beim Thema „Transgender“ denken viele Menschen in erster Linie an geschlechtsangleichende Operationen. Was bieten Sie an?
Breitenecker: Wir bieten Hormontherapie an. Für die brauchen die Patienten drei Stellungnahmen: eine psychiatrische, eine klinisch-psychologische und eine psychotherapeutische. Alle drei müssen zum Schluss kommen, dass das gelebte Geschlecht ein anderes ist als das offizielle.
Uy: Bei uns wird dann ein ausführliches ärztliches Gespräch geführt. Wir erklären verschiedene Möglichkeiten für die Hormontherapie. Wir bieten zudem Psychotherapie an und haben einen sogenannten „Trans Buddy“. Der hilft bei verschiedenen Fragestellungen und Problemen, z. B. wenn jemand den Namen ändern möchte oder wenn jemand aus dem Ausland kommt und die Stellungnahmen für die Hormontherapie von dortigen Ärzten stammen.
Breitenecker: Wir nennen auch Anlaufstellen, wenn eine operative Geschlechtsangleichung gewünscht ist, und machen, z. B. bei einer Brustentfernung, die Wundversorgung.
Ärzte Woche: Haben Sie durch Ihre Spezialisierung schon einmal Anfeindungen erlebt, sei es von Anrainer:innen oder anderen Ärzt:innen?
Uy : Das Gute ist, dass der 6. Bezirk ein relativ hipper Bezirk ist. Unsere Praxis wird hier gut angenommen.
Ärzte Woche: Und wie ist es mit Ihren Patientinnen und Patienten? Erleben diese Diskriminierungen?
Uy: Das kommt schon vor. Besonders im HIV-Bereich sind die Menschen noch sehr stark stigmatisiert. Eine unserer Patientinnen wurde z. B. wegen ihrer HIV-Infektion vom Zahnarzt nicht behandelt.
Breitenecker: Es ist immer noch in den Köpfen, dass es eine hoch ansteckende, tödliche Krankheit ist. Und das ist sie, wenn man unter Therapie steht, nicht mehr.
2015 wurde das erste Primärversorgungszentrum in Wien-Mariahilf gegründet, 2017 folgte als zweites „die Hausärzte Enns“ in Oberösterreich. So richtig warm geworden ist die Ärzteschaft mit dieser Möglichkeit bisher nicht, obwohl David Wacherbauer, Leiter der Koordination der Primärversorgung und der Plattform Primärversorgung bei Gesundheit Österreich, sagt: „Das Thema zieht an.“ Ursprünglich sollten 75 Primärversorgungseinheiten (PVE) bis 2023 gegründet sein, derzeit gibt es 64, 75 sollen es heuer noch werden.
Die 2022 gegründete Plattform Primärversorgung dient der Information über Möglichkeiten der Primärversorgung, der Fokus liegt auf PVE, aber auch Gruppenpraxen und Einzelordinationen. Mitglieder der Plattform sind neben der Ärzteschaft die Pflege, Gesundheitsberufe in der Physiotherapie und Diätologie, soziale Arbeit, Forschung und Lehre, auch Studierende und junge Medizinerinnen und Mediziner.
Links zu weiterführenden Informationen:
Teampraxis Breitenecker
An.doc.stelle.
https://teampraxis.wien/an-doc-stelle/
Plattform Primärversorgung
https://primaerversorgung.gv.at
Nora Breitenecker, BScN
Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Logopädin ist seit 2019 Head Nurse in der Teampraxis Breitenecker und auch für das Personalmanagement verantwortlich. Im PVE ist sie als eine von vier Gesellschafter:innen vorgesehen.
Teampraxis Breitenecker
Dr. Daniel Uy
Der Allgemeinmediziner ist seit 2020 Teil der Teampraxis Breitenecker. Außerdem engagiert er sich seit 2021 für „Ärzte ohne Grenzen Österreich“. Er war für die NGO in Madagaskar und auch in der Ukraine tätig (die „Ärzte Woche“ berichtete in Ausgabe 12/2023).
Teampraxis Breitenecker