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06.02.2025 | Geschichte der Medizin

Weißer Kittel, weiße Weste?

verfasst von: Dr. Katharina Edtstadler

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Das Ehepaar Albin und Erna Lesky ist bekannt für seine wissenschaftlichen Verdienste. Ihre politische Involvierung während der NS-Zeit wurde nun eingehend analysiert. 

Durch das Alte AKH Richtung „Narrenturm“ spazieren, um über eine Abkürzung auf der Sensengasse wieder herauszukommen, bedeutete bis vor Kurzem, das sogenannte Lesky-Tor zu durchqueren. Die Verbindung von Hof 3 und Hof 13 mutet wie einer der vielen Durchgänge auf dem Gelände an und wurde 1998 bei der Eröffnung des Universitätscampus zwei international bekannten Persönlichkeiten gewidmet: Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Albin und Univ.-Prof. DDr. med. et phil. Erna Lesky.

Er Experte für Klassische Philologie in wichtigen wissenschaftspolitischen Schlüsselpositionen, sie Ärztin und Medizinhistorikerin und erste Frau, die an der Medizinischen Universität Wien eine ordentliche Professur erhielt und zum ersten weiblichen Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt wurde. Beide loyale und ab November 1939 offizielle Mitglieder der NSDAP. Systemkonformes Agieren im privaten, vor allem aber im professionellen Bereich stand für beide außer Frage – und das nicht nur, um ihre Karrieren voranzubringen. Wie viele andere unterstützten sie die Ideologien des nationalsozialistischen Systems in dem Glauben an ein „neues Europa“ unter Adolf Hitler. Sie waren politisch nicht nur „Kinder ihrer Zeit“, wenngleich sie im Zuge der Entnazifizierungsverfahren versuchten, vom Gegenteil zu überzeugen. Bezeichnenderweise waren sie nach dem Verbot der NSDAP 1945 weiterhin gut mit anderen „Ehemaligen“ vernetzt.

Das ursprüngliche Konzept der Universität, verdiente Persönlichkeiten mit Toren der Erinnerung im kulturellen Gedächtnis zu bewahren, wurde bereits 2015 erweitert, indem man im Rahmen des 650. Universitätsjubiläums verschiedene Denkmäler mit kommentierenden Tafeln versah, denen Interessierte Details zum Leben und Wirken der einzelnen Personen entnehmen können – unter ihnen auch Charlotte Bühler, Konrad Celtis, Anna und Sigmund Freud sowie Berta Karlik. Darüber hinaus beschloss der Senat der Universität Wien 2023, die Ehrung von Albin und Erna Lesky aufgrund ihres parteipolitischen Engagements während des Nationalsozialismus nicht fortzuführen und das Tor umzuwidmen – die aktive Involvierung von Albin und Erna Lesky wurde als problematisch eingestuft.

Die Umwidmung des Tores zwischen Hof 3 und 13 im vergangenen Jahr, das nun nach Erica Tietze-Conrat und Hans Tietze (siehe Abb.), zwei von der NS verfolgte Kunsthistoriker, benannt ist, fiel zeitlich mit dem Erscheinen einer gut 500 Seiten umfassenden Monografie über die Karrieren „der Leskys“ zusammen. Dr. Felicitas Seebacher, Historikerin und Mitglied der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften an der ÖAW, hat das akademische Wirken der Leskys akribisch nachverfolgt, analysiert und kontextualisiert. Vorgestellt wird dabei nicht nur ein außergewöhnliches Forscherehepaar, sondern zwei leistungsaffine Menschen, die weitläufig in die politischen Netzwerke und Machtstrukturen der jeweiligen Herrschaftssysteme ihrer Zeit verstrickt waren. Seebacher schrieb ihre Dissertation über die Wiener Medizinische Schule im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Sie beleuchtete auch die antisemitische Einstellung von Prof. Dr. Theodor Billroth, die unter anderem eine Ausgrenzung von Jüd:innen damit rechtfertigte, dass die „Kluft zwischen rein deutschem und rein jüdischem Blut“ unüberwindbar sei – eine biopolitische Argumentation, die antisemitischen Entscheidungen „wissenschaftlich“ stützen sollte. Auch Billroths Ehrungen wurden vom Senat als problematisch eingestuft.

Bereits auf den ersten Seiten des Buches wird erkennbar, wie differenziert und multiperspektivisch sich Seebacher den Biografien von Menschen nähert, deren wissenschaftliche Brillanz seit jeher hell genug leuchtet, um problematische Einstellungen und Handlungen zu überstrahlen. Die Autorin möchte ihr Buch als „eine politikbezogene Untersuchung spezifischer Phänomene, die ihren (Anm. d. Red.: Ehepaar Lesky) beruflichen Aufstieg mitbestimmten“ verstanden wissen. Obwohl ein Opfer-Täter-Diskurs, der strikt in Gut und Böse trennt, hier, wie so oft, zu kurz greift, verdeutlichen die Lebenswege von Albin und Erna Lesky doch, in welchem Ausmaß die aktive Beteiligung vieler Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen an der Umsetzung nationalsozialistischer Ideen gesamtgesellschaftlich tabuisiert wurde.

Auch das Ehepaar Lesky tritt zu Lebzeiten wie posthum als ein „power couple“ auf, das internationales Renommee genießt – Erna wurde lange sogar als eine Ikone der Wiener Geschichte der Medizin wahrgenommen. Eine differenzierte Darstellung der Arbeit von Erna Lesky-Klingenstein, wie sie sich zwischen 1939, dem Jahr der Hochzeit, und 1949 nannte, findet sich im Kapitel IV. Die als dominant und ehrgeizig beschriebene Ärztin mit einer außergewöhnlich anti-feministischen Grundhaltung sah ihre Arbeit als Dienst an der „deutschen Volksgemeinschaft“. Der Aufbau eines „gesunden Volkskörpers“, der sich auf pseudowissenschaftliche, rassistische Modelle stützte, wurde ihr bereits im Studium vermittelt, welches während der 1930er-Jahre stark unter dem Einfluss austrofaschistischer und nationalsozialistischer Gesundheitspolitik stand. Ihr Studium an der Universität Wien schloss sie als Allgemeinmedizinerin ab. Da sie schon zuvor an der Innsbrucker Kinderklinik tätig war, sah sie sich selbst eher als Pädiaterin und versuchte dies später – ohne abgeschlossene Facharztausbildung – bei der Ärztekammer Tirol durchzusetzen. Durch ihre Mitgliedschaft in der NSDAP wurde ihr aber auch so die medizinische Leitung in einem Heim des Hilfswerks „Mutter und Kind“ der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) vermittelt, das in das NSDAP-Programm zur Selektion von gesunden und „erbkranken“ Kindern eingebunden war. Nach Kriegsende erhielt Erna Lesky bereits 1947 ihre Approbation zurück und wurde als „minderbelastet“ eingestuft – wie so vielen verhalf ihr ein „geschickt gelenkter Entnazifizierungsprozess“ zur Freisprechung von ihrer politischen Verantwortung. Allerdings widmete sie sich fortan der Geschichte der Medizin – den weißen Arztkittel behielt sie an, obwohl es die nun rein wissenschaftliche Tätigkeit nicht mehr erfordert hätte. Seebacher widmet der Verdrängung der eigenen Beteiligung und allgemeinen Tabuisierung ein eigenes Kapitel, in dem sie darlegt, wie Gesetzeslücken im ersten Verbotsgesetz genutzt wurden, um die NSDAP-Mitgliedschaft als loyales Bekenntnis gegenüber der Republik Österreich auszulegen – den weißen Kittel in eine weiße Weste zu verwandeln.

Die Maxime „Die Wissenschaft ist eine sehr gestrenge Majestät“ verband Erna mit ihrem Ehemann Albin Lesky, der zunächst als Dekan und Prorektor an der Universität Innsbruck wirkte und an der „Aktion Ritterbusch“ mitarbeitete. Dabei ging es um den Einsatz der Geisteswissenschaften in der NS-Propaganda. Nach Kriegsende wurde er, wie seine Frau, ebenfalls als „minderbelastet“ eingestuft und 1949 als Ordinarius an die Universität Wien berufen, wo er maßgeblich am Aufbau des Instituts für Klassische Philologie beteiligt war. Es folgte die Ernennung zum Dekan (1958/59) und Rektor (1963/64).

Auf jeder einzelnen Seite des Buches wird deutlich, dass die eingehende und objektive Betrachtung der Lebenswege des Ehepaars Lesky ihre Leistungen nicht in Frage stellt. Felicitas Seebacher versteht es, ihre wissenschaftlichen Expertisen zu würdigen und gleichzeitig den Mythos des „unpolitischen“ Wissenschaftlerehepaars kritisch zu hinterfragen.    

Felicitas Seebacher: Die Leskys. Verlag der ÖAW 2024, 544 S., 49 Euro, ISBN 978-3-7001-9422-4.


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Metadaten
Titel
Weißer Kittel, weiße Weste?
Publikationsdatum
06.02.2025