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06.02.2025 | Tekal

Too much is just enough

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Über die Vorteile der Polypharmazie.

Heute möchte ich einmal mein satirisches Beil beiseitelegen und eine Lanze für unsere Medikamente brechen. Sie sind es, die alte und fraglich wirksame Hausmittel verdrängt haben und durch eine nachweisbare Effizienz bestechen. Auf gut Deutsch: Statt Topfen am Knie, Essigpatscherln an den Füßen und Tee aus selbst gepflücktem Johanniskraut aus dem Garten von Mutter Natur gibt es nun Ibuprofen, Paracetamol und Escitalopram aus dem Garten von Mutter Pharmazie. Tatsächlich muss man schon lange an einer Weidenrinde kauen, um die Dosis einer Tablette Aspirin aufnehmen zu können. Im Gegensatz zu den Kräutern und Rüben durchlaufen die Substanzen überaus aufwendige Zulassungsverfahren, bevor sie klinisch getestet und rechtlich einwandfrei in der Medikamentenbox unserer Patienten landen. Dort befinden sie sich in guter Gesellschaft mit einem gefühlten Dutzend anderer klinisch getesteter und rechtlich einwandfreier Tabletten. Jenseits der 60 nehmen 40 Prozent mehr als fünf Substanzen gleichzeitig, ab 75 schluckt jeder dritte Patient bereits über acht verschiedene Präparate – und den Magenschutz (das ist aber kein Medikament, sondern was fürs Baucherl).

Die Mischung indes kann dabei durchaus interessant werden. Für medizinische Koryphäen, Marke „Dr. House“, ist man jedoch durchaus gewillt, eine Unlust des Geistes, des Darmes oder der Geschlechtsorgane hinzunehmen, um jemanden in seinen Zielwert zu bringen. Denn der internistische Traum einer LDL-losen Gesellschaft ist zum Greifen nah!

In dieser Gazette wurde kürzlich die Problematik der Arzneimittelinteraktionen beschrieben. Ein bis fünf Prozent aller Krankenhauseinweisungen sollen mit derartigen Wechselwirkungen in Zusammenhang stehen. Das ist nicht wenig. Dazu kommen all jene Substanzen, auf die die Patienten schwören und sich OTC aus der Apotheke oder in der Online-Drogerie des Vertrauens beschaffen, wie Zinktabletten, Heerscharen probiotischer Bakterienkulturen oder Johanniskraut-Kapseln.

Geforderte Wechselwirkungs-Checks für die Endkunden klingen daher durchaus sinnvoll. Das Problem dabei: Die meisten Mediziner haben kein sonderlich großes Interesse daran, die eigene Therapie infrage zu stellen und keinen sonderlich großen Mut, die Therapien der anderen Fächer abzusetzen. So bleiben, neben unserer zielgerichteten 3-fach-Kombi zur Blutdrucksenkung und der 2-fach-Kombi zur Cholesterinsenkung auch all jene Medikamente am Speiseplan drauf, die von diversen Spezialisten zur Zucker-, Osteoporose- oder Depressions-Senkung etabliert wurden. Die Empfehlung nach der umfassenden Interaktionsüberprüfung lautet dann: „Diese 15 Tabletten sind wichtig, aber das Johanniskraut sollten Sie weglassen“.

Zum Glück unterstützen uns unsere Patienten dabei, der Polypharmazie entgegenzutreten. Sie nehmen nämlich die Substanzen nicht – oder nach eigenem Ermessen nur sehr sporadisch – ein. Sicher dabei ist jedoch: Johanniskraut.

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Metadaten
Titel
Too much is just enough
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
06.02.2025