Christoph Zielinski, Onkologe der Nation, und Herbert Lackner, einer der angesehensten Journalisten des Landes, haben ihre Kräfte vereint und ein bemerkenswertes Buch geschaffen. Trotz seines schmalen Umfangs bietet es eine Fülle an Wissen und Einsichten: „Dem Krebs auf der Spur – Die Erfolgsgeschichte der Krebsforschung“ ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit.
Läufer im Alten AKH machen sich bereit für den Krebsforschungslauf. Eine glänzende Gelegenheit, auf die Fortschritte der Onkologie in den vergangenen Jahrzehnten hinzuweisen und Werbung für eigene Forschungsvorhaben zu machen. Ein Wettlauf: Nur die besten Projekte werden tatsächlich unterstützt.
MedUni Wien/Robert Harson
Bei diesem Buch hat jeder der beiden Autoren seine Fähigkeiten und Erfahrungen eingebracht. Der inhaltliche Reichtum und die Klarheit des Stils sind Ausdruck ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik. Sie zeugen von ihrer Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge für eine breite Leserschaft zugänglich zu machen.
Das Buch beginnt mit einem historischen Überblick über die frühesten bekannten Fälle von Krebs, die bis zu 2400 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückreichen. Die Autoren beschreiben, wie bereits im alten Ägypten Versuche unternommen wurden, Brustkrebs durch Kauterisierung zu behandeln – ein Verfahren, das allerdings immer tödliche Folgen hatte. Diese frühen Bemühungen, der Krankheit Herr zu werden, bilden den Ausgangspunkt für eine Reise durch die Jahrtausende, in denen Menschen immer wieder versuchten, den Krebs zu verstehen und zu bekämpfen.
Was Virchow entdeckte
Zielinski und Lackner zeichnen diese Entwicklung der Onkologie nach und zeigen auf, wie sich das Wissen über Krebs über die Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt hat. Ein entscheidender Meilenstein in dieser Geschichte ist das 19. Jahrhundert, als der deutsche Pathologe Rudolf Virchow erstmals die Hypothese formulierte, dass Krebs durch Fehler in Zellen verursacht wird. Diese revolutionäre Erkenntnis legte den Grundstein für das moderne Verständnis der Krankheit: Krebs entsteht durch mutierte Zellen, die sich unkontrolliert vermehren und zu bösartigen Tumoren heranwachsen. Diese Theorie veränderte nicht nur die medizinische Praxis, sondern auch die Art und Weise, wie Wissenschaftler und Ärzte weltweit die Krankheit bekämpfen.
Mit der Einführung strenger Hygienevorschriften im Operationssaal und der Entwicklung der Anästhesie wurden im 19. Jahrhundert die ersten erfolgreichen chirurgischen Eingriffe zur Behandlung von Krebs möglich. Zudem ermöglichte die Entdeckung der Röntgenstrahlen eine präzisere Lokalisierung von Tumoren, was zu weiteren Fortschritten in der Krebstherapie führte. Diese Entwicklungen markieren den Übergang zu einem neuen Kapitel in der Krebsforschung, das in den folgenden Jahrzehnten entscheidend vorangetrieben wurde.
Im zweiten großen Teil ihres Buches wenden sich Zielinski und Lackner den 1940er-Jahren zu, der Zeit, in der die moderne Chemotherapie ihren Anfang nahm. Amerikanische Ärzte experimentierten damals mit Senfgas, um einen Patienten mit fortgeschrittenem Lymphknotenkrebs zu behandeln – vergeblich, wie so oft am Beginn neuer Therapien. Die Chemotherapie, die in den folgenden Jahrzehnten zur Standardbehandlung für viele Krebsarten wurde, steht heute jedoch vor einem Wandel. Neue Therapieansätze wie die Immuntherapie, innovative Impfstoffe und hochentwickelte Medikamente, die auf spezifische genetische Mutationen abzielen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Zielinski und Lackner erinnern in diesem Zusammenhang an die bahnbrechenden Erfolge, die in den letzten Jahren erzielt wurden, beispielsweise bei der Behandlung des malignen Melanoms, das heute in vielen Fällen zu einer behandelbaren Krankheit geworden ist.
Als nächstes beleuchten die Autoren eine der größten Entdeckungen in der modernen Krebsforschung: die Erkenntnis, dass Krebs nicht als eine einheitliche Krankheit betrachtet werden kann. Stattdessen existieren innerhalb eines einzelnen Krebspatienten oft mehrere verschiedene Krebsarten gleichzeitig, was die Behandlung erheblich erschwert. Diese Entdeckung hat zur Entwicklung spezieller Medikamente geführt, die gezielt auf die unterschiedlichen Subtypen jeder Krebsart abgestimmt sind. Der Ausblick der Autoren ist optimistisch: Immer häufiger wird es möglich, Krebserkrankungen als behandelbare Krankheiten zu betrachten – dank fortschrittlicher Diagnoseverfahren, bei denen zunehmend künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt.
Maßgeschneiderter Impfstoff
Dennoch bleibt eine zentrale Frage offen: Wird es jemals eine universelle Impfung gegen Krebs geben? In diesem Punkt zeigt sich Zielinski vorsichtig optimistisch, weist jedoch darauf hin, dass die Zukunft der mRNA-Impfstoffe möglicherweise in ihrer Fähigkeit liegt, individuell auf die genetischen Besonderheiten jedes Patienten und seines Tumors zugeschnitten zu werden. Zwar prognostizieren die Autoren steigende Zahlen von Krebserkrankungen, doch gehen sie davon aus, dass die Sterblichkeitsrate dank dieser neuen Ansätze in den kommenden Jahren weiter sinken wird.
Das Buch beschränkt sich aber nicht nur auf die Darstellung der wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte. Zielinski und Lackner widmen sich auch der Frage, was jeder Einzelne tun kann, um sein persönliches Krebsrisiko zu minimieren. Dabei bleibt es nicht bei individuellen Ratschlägen: Die Autoren thematisieren auch die ungleiche Verteilung von Krebs weltweit und weisen darauf hin, dass die Krankheit in ärmeren Regionen signifikant häufiger auftritt als in wohlhabenden Gegenden. Diese sozialen und ökonomischen Faktoren spielen eine entscheidende Rolle in der globalen Krebsprävention und -bekämpfung. Sie werden in dem Buch ausführlich diskutiert.
Am Ende steht ein berührendes Eingeständnis von Zielinski: „Es ist kein Beruf, bei dem man einfach nach Hause geht, sich die Hände wäscht und mit den Kindern spielt.“ Mit diesen Worten bringt er die immense Verantwortung und das unermüdliche Engagement zum Ausdruck, das von Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit täglich aufgebracht wird, um die Entstehung und das Wachstum von Krebs besser zu verstehen und schließlich zu besiegen. Zielinski und Lackner ist es gelungen, mit ihrem Buch nicht nur einen umfassenden Überblick über die Geschichte und den aktuellen Stand der Krebsforschung zu geben, sondern auch die menschliche Dimension dieser Arbeit eindrucksvoll zu vermitteln.
Christoph Zielinski, Herbert Lackner: Dem Krebs auf der Spur – Die Erfolgsgeschichte der Krebsforschung. Ueberreuter Verlag 2024, 208 S., Hardcover 26,00 Euro, ISBN 978-3-8000-7880-6.
Die Worte eines Onkologen, die Übersetzung eines Journalisten
Ärzte Woche: Herr Prof. Zielinski, wenn Sie plakativ antworten müssten: Was sind für Sie die bedeutendsten Fortschritte in Diagnose und Behandlung maligner Tumoren?
Christoph Zielinski: Wir haben in der Diagnose zwei Aspekte. Der erste Aspekt ist die sogenannte funktionelle Radiologie, wo wir mittels PET-CT stoffwechselaktive Areale finden, die mit einem Tumor assoziiert sind. Das hat uns extrem geholfen, nicht nur bei der Erkennung von Erkrankungen, sondern auch bei der Beobachtung der Therapieeffektivität, also wo früher aktive Areale dann inaktiv werden. Bei den bösartigen Lymphknotenerkrankungen ist das heute mehr oder weniger ein sine qua non. Und die molekulare Pathologie ist das Zweite – die Erkennung von Tumoren nicht nur nach ihrem histologischen Muster, sondern auch nach ihrer molekularen Qualifikation.
Und dadurch zerfällt das, was früher als Ganzheit gesehen wurde, zum Beispiel ein Lungenkarzinom, in viele, viele kleine Untergruppen aufgrund dieses molekularen Musters. Und daraus folgen dann zwei Therapiefortschritte:
- Das Erste ist die molekulare Medizin, die sogenannte „personalisierte Medizin“. Sie beruht auf den Erkenntnissen des Cancer Genome Atlas, dass viele verschiedene molekulare Veränderungen da sind, die dann gezielt behandelt werden können. Da gibt es eine Unzahl an verschiedenen Medikamenten, die in den vergangenen Jahren registriert worden sind.
- Und das Zweite ist die Erkenntnis, dass Tumoren die Abwehrmaßnahmen des Organismus aktiv unterdrücken. Und dass es Antikörper gibt, die diese Unterdrückung aufheben und dafür sorgen, dass das körpereigene Abwehrsystem sich gegen den Tumor richten kann. Es war der Nobelpreis 2018, der diese Entdeckungen berücksichtigt hat. Wir haben mehr als 20 verschiedene Tumoren registriert, die für so eine Immuntherapie infrage kommen. Und wir haben derzeit, soviel ich weiß, sieben verschiedene Substanzen, die diesbezüglich eingesetzt werden.
Kongeniales Autorenduo. Jedes Kapitel ging zwischen Lackner und Zielinski hin und her.
Ueberreuter Verlag
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Ärzte Woche: Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen würden, welche neuen Behandlungsmöglichkeiten kündigen sich an?
Zielinski : Es gibt drei verschiedene Aspekte. Der erste ist der Ausbau in den beiden Forschungsrichtungen, die ich gerade beschrieben habe. Also, es werden sicher viel, viel mehr molekulare Veränderungen medikamentös angehbar sein. Das Zweite ist, dass sich natürlich viele verschiedene andere Substanzen anbieten, die einerseits die Erkennung und die Bekämpfung des Tumors durch körpereigene Eigenschaften verstärken, aber auch das körpereigene Immunsystem stärken, damit es eher auf Tumoren losgehen kann. Hier wird es sicher in den nächsten Jahren eine Kombinationstherapie geben.
Der dritte Aspekt ist natürlich auch das Einbringen von verschiedenen anderen völlig neuen Aspekten wie der Impfung, die die Eigenschaften des Tumors dem Organismus besser darstellt, sodass darauf dann die Immuntherapie viel besser funktionieren kann, indem das eine mit dem anderen kombiniert wird.
Und hier haben wir erste Ergebnisse, zum Beispiel beim malignen Melanom. Und es wird sicher auch beim Nierenzellkarzinom etwas Ähnliches geben. Also das ist schon etwas, was in den nächsten Jahren, glaube ich, vielversprechend sein könnte.
Ärzte Woche: Welche Rolle spielen maschinelles Lernen und KI bei diesen neuen Erkenntnissen?
Zielinski : Eine große, das ist keine Frage. Erstens können wir artifizielle Intelligenz einsetzen, um Medikamente zu entwickeln. Zweitens ist es eine große Hilfe für uns, dass wir verschiedene unbekannte Konstellationen mittels artifizieller Intelligenz definieren können. Der dritte Aspekt, der natürlich sehr interessant ist, ist die völlige Neuklassifizierung von Tumoren. Wir haben zum Beispiel in der Radiologie die Verstärkung von Signalen durch artifizielle Intelligenz und können damit viel exaktere Diagnosen stellen. Auf der anderen Seite aber können wir Tumoren möglicherweise so weit charakterisieren, dass wir wissen: Wenn ein Tumor, sagen wir, ein Pattern A hat, dass dieses verstärkt wird und dadurch vielleicht sogar eine pathologische Diagnostik ersetzen könnte. Das ist natürlich Zukunftsmusik.
Statista
Ärzte Woche: Wenn es nun nicht mehr diesen einen Krebs gibt, sondern in einem und demselben Patienten sich viele Krebsarten manifestieren, wird dann nicht die Behandlung immer teurer, weil für diese Unterkrebsarten viele neue Medikamente verwendet werden, die viel Geld kosten. Wird das die soziale Krankenversicherung finanziell leisten können?
Zielinski : Ich glaube, man muss das anders sehen. Man muss das so sehen, dass Patienten durch diese neuen Medikamente viel, viel länger aktiv sein können. Und ob sie sich dann um die Enkelkinder kümmern oder im Berufsleben stehen oder eine Firma leiten, das ist schon etwas, was natürlich der Volkswirtschaft zugutekommt. Wir können nicht nur rechnen, was kostet ein Patient, sondern wir müssen auch rechnen, was bringt ein Patient. Und was bringt sie oder er ein in die Gesellschaft…
Ärzte Woche: Herr Dr. Lackner, Sie sind einer der bekanntesten Journalisten des Landes, haben jahrzehntelang als Chefredakteur das Magazin „profil“ geleitet, sind seit neun Jahren im Unruhestand, wie man bei Ihnen durchaus sagen muss. Sie haben viele Bücher geschrieben zur unseligen Verfolgung von Intellektuellen, Künstlern und Politikern in der Nazizeit – und vor zwei Jahren dann ein erstes Buch zusammen mit Prof. Zielinski, „Die Medizin und ihre Feinde“. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Herbert Lackner : Zu diesem Buch ist es so gekommen: Wir saßen im Café Landmann im Schanigarten und beobachteten eine Impfgegner-Demonstration. Da waren Nazis, Nonnen, Hausfrauen aus dem Weinviertel mit ihren Männern im Hubertusmantel, Hippie-Frauen mit Tüchern …
Wir haben uns gefragt: Wie gibt es das? Und haben dann spontan beschlossen, wir gehen dieser Wissenschaftsskepsis auf den Grund und schreiben ein Buch. So ist „Die Medizin und ihre Feinde“ entstanden.
Ärzte Woche: Welche Kapitel von „Dem Krebs auf der Spur“ (siehe Buchtipp, Anm.) stammen vorwiegend aus Ihrer Feder?
Lackner : Am ehesten die historischen, die doch einen großen Teil des Buches ausmachen. Aber wir haben immer im Dialog gearbeitet. Auch die historischen Kapitel habe ich Professor Zielinski geschickt und er hat sie angeschaut und gesagt, da könnte man noch das und das dazuschreiben … Das haben wir dann auch eingebaut.
Ärzte Woche: Jetzt kenne ich Vorträge von Herrn Professor Zielinski, die sich durch eine sehr wissenschaftliche Ausdrucksweise in komplexen Sätzen auszeichnen. In diesem Buch spricht Professor Zielinski zu mir in sehr einfach gestalteten Sätzen. Was ist Ihr Anteil daran?
Lackner : Ich habe versucht, Christoph Zielinskis Worte so zu übersetzen, dass Leute wie wir beide sie auch verstehen. Das war gar nicht so einfach. Wir haben uns oft getroffen und ich habe dann gesagt: „Erzähl mir diesen Absatz so, wie du ihn beim Plaudern erzählen würdest.“ Das hat gut funktioniert. Aber es war natürlich etwas aufwendig.