Eisbaden als hipp-urbaner Trend
Thomas Kainrath
Nachdem der Permafrost des Wienerwaldes langsam taut und man die ersten Frühlingsboten, in Form von Pollen, in der Nase spürt, wollen wir uns noch einmal in die Kälte begeben. Lassen wir zum Ende der Wintersaison noch einmal den Blick auf jene körperbewussten, wackeren Städter werfen, die bis zum Hals in den eiskalten Flüssen der Metropolen stehen, danach knallrot wie der Phönix aus der Tiefkühltruhe steigen und übertrieben gut gelaunt ihr Tagwerk beginnen. Eisbaden ist ein Trend, der, möglicherweise aus einer Schnapsidee entstanden, zu einem wahren Hype mutiert ist. Doch wurde anfangs tatsächlich danach noch der doppelte Obstler gereicht, erfrischt man sich heute mit Hibiskusblütentee von Hibiskussträuchern, mit denen man sich zuvor ordentlich ausgepeitscht hat.
Sie haben es, ob der sarkastischen Herangehensweise, bemerkt: Aus mir spricht der Neid. Denn während ich gerade meine zweite Tasse Kaffee über die Tastatur leere, haben die Eisbader bereits ihr Immunsystem und ihr Selbstbewusstsein gestählt. Solch gesundheitlicher Enthusiasmus schürt den Missmut, wenn er in direkter Konkurrenz zur eigenen Bequemlichkeit steht. Ja, auch ich habe vor, alsbald wieder ins Laufgeschäft einzusteigen. Aber dazu muss es a) warm genug, b) sonnig genug, c) nicht zu warm und d) auch nicht zu sonnig sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, steht der Ertüchtigung nichts mehr im Weg. Wenn es sich zeitlich ausgeht, die Schuhe nicht zu sehr drücken und ich die WHO-Kriterien des völligen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens erfülle. Mal sehen, ob sich das 2025 ausgeht.
Der Zufall wollte es, dass ich kürzlich in dieser Gazette eine Studie zu diesem Thema gefunden habe: Eine Metaanalyse hat dazu mehr als 3.000 Kältejünger untersucht und gezeigt, dass sie im Zeitraum von drei Monaten um 30 Prozent seltener krank waren. Theoretisch gibt es zahlreiche positive Effekte auf Immunsystem, Entzündungsreaktionen oder das braune Fettgewebe. Praktisch kann auch die Metaanalyse nicht beantworten, ob die Sache tatsächlich gesund ist oder nur angeberisch gut aussieht. Solange es also nicht explizit dafür eine Empfehlung der Klasse I im Evidenzgrad gibt, werde ich also noch abwarten und meinen Hut ziehen, wenn ich nackte Menschen am Flussufer sehe – ganz ohne Sarkasmus. Versprochen.
Typische Eisbader sind schließlich keine betagten Kurgäste, die mit Storchenschritt in einem kalten Bottich stapfen, sondern meist muskelgestählte, bärtige Männer, die sich ein Loch in die Eisdecke schlagen, um abzutauchen. Beworben werden solche Aktionen auch nicht von Dr. Kottas Basentee, sondern Red Bull. So überzeugt man die urbane Bevölkerung, direkt mit dem Lastenfahrrad ins Eisloch zu fahren.
Verzeihung, ich bemühe mich und sollte mich eher mitfreuen, dass hier gesundheitsbewusste Menschen voller Lebensenergie Netto-Beitragszahler der Krankenkasse sind. Dafür bekommen Warmduscher keine Frostbeulen.